Schwere Geburt auch für Neanderthaler

Der Kopf eines Neanderthaler-Babys war ebenso groß wie der eines heutigen Babys, darum litten Gebärende schon damals Schmerzen
Rekonstruktion eines Neanderthalers vor dem Neanderthal-Museum Mettmann
Rekonstruktion eines Neanderthalers vor dem Neanderthal-Museum Mettmann
© Neanderthal Museum, Mettmann
Zürich (Schweiz) - Der Neanderthaler wird uns immer ähnlicher. Galt er unlängst noch als tumber Geselle, deutet immer mehr darauf hin, dass er durchaus einige Intelligenz besaß. Aus den Untersuchungen an einem sorgfältig bestatteten Neanderthaler-Baby konnte jetzt ein Schweizer Forscherteam Schlüsse ziehen über den Entwicklungsprozess dieser Menschenform von Geburt an. Ihr Kopf war zum Zeitpunkt der Geburt so groß wie der eines heutigen Babys, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt "Proceedings of the National Academy of the Sciences" (PNAS). Zwar war das Becken der Neanderthaler-Frauen und damit der Geburtskanal etwas breiter als das heutiger Frauen - doch dafür war das Gesicht eines Neanderthaler-Babys auch grobknochiger, mit dickeren Wülsten über den Augen. Damit dürften die Gebärenden damals vergleichbare Schmerzen erlitten haben wie heutige werdende Mütter.

Rund vierhundert Kubikzentimeter umfasste das Gehirn des Neanderthaler-Babys, eines Homo sapiens neanderthalensis, das vor rund 40.000 Jahren kurz nach der Geburt starb und von seinen Angehörigen sorgsam bestattet worden war. Vierhundert Kubikzentimeter sind auch für Babys des modernen Menschen, des Homo sapiens sapiens, eine typische Gehirngröße. Der Fund aus der Mezmajskaja-Höhle auf der Krim gab dem Forscherteam um Marcia Ponce de León und Christoph Zollikofer von der Universität Zürich die Möglichkeit, unter Zuhilfenahme eines Neanderthaler-Frauenskeletts den Geburtsvorgang am Computer zu simulieren. Der etwas weitere Geburtskanal der Neanderthaler-Frauen passte quasi zum deutlich grobknochigeren Schädel ihrer Babys. Und dürfte auch für ähnlichen Geburtsschmerz gesorgt haben: "Die gleiche Gehirngröße von Neanderthaler- und Homo-sapiens-Babys bedeutet, dass wir zumindest seit 500.000 Jahren einen hohen evolutionären Preis in Form von Geburtsproblemen dafür zahlen, dass wir so ein großes Gehirn haben", erklärt Christoph Zollikofer.

Die Forscher haben anhand weiterer Neanderthaler-Kinderskelette auch die nachfolgende Entwicklung dieser Menschentyps untersucht. Dabei stellten sie fest, dass sich ihr Gehirn schneller entwickelte als das eines heutigen Kindes. Das würde zu dem Prinzip "Lebe schnell - stirb jung" passen, das man beim Neanderthaler vermutete. Doch die neuen Studien der Schweizer Forscher zeigen, dass das Neanderthaler-Gehirn zwar schneller wuchs als das des Homo sapiens sapiens, doch dass dies auch so sein musste, weil das erwachsene Gehirn des Neanderthalers etwas größer war als das heutiger Menschen. Bis zum Erwachsenenalter musste es seine volle Größe erreicht haben, darum wuchs es schneller. Die Entwicklung eines Neanderthaler-Babys verlangte auch den Müttern einiges ab: Damit das Baby sich so entwickelte, wie es erforderlich war, brauchte die Mutter Nahrung und Energie für das Baby - eine Energie, die sie nur aufbringen konnte, wenn sie selbst voll entwickelt war. Das wiederum bedeutet, so die Wissenschaftler, dass Neanderthaler-Frauen ihr erstes Kind vermutlich zu einem späteren Zeitpunkt im Leben bekamen als Homo-sapiens-sapiens-Frauen. Und das bedeutet: Die Entwicklung eines Neanderthaler-Lebens verlief letztlich ebenso langsam wie das des Homo sapiens - wenn nicht noch langsamer.

PNAS
Quelle: "Neanderthal brain size at birth provides insights into the evolution of human life history", Marcia S. Ponce de Leon, Lubov Golovanova, Vladimir Doronichev, Galina Romanova, Takeru Akazawa, Osamu Kondo, Hajime Ishida und Christoph P. E. Zollikofer; PNAS, 08.09.2008, DOI: 10.1073/pnas.0803917105


 

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