Machtlosigkeit - der Keim für Aberglauben und Verschwörungstheorien

Nicht unbedingt niedrige Bildung nährt die Neigung zu ungesicherten Theorien, sondern Machtlosigkeit oder Kontrollverlust
Ein Traumfänger. Er dient in indianischen Kulturen dazu, die Träume zu verbessern. Böse Träume sollen im Netz hängen bleiben, gute hindurchschlüpfen können.
Ein Traumfänger. Er dient in indianischen Kulturen dazu, die Träume zu verbessern. Böse Träume sollen im Netz hängen bleiben, gute hindurchschlüpfen können.
© Wikipedia: Jorge Barrios / Public Domain
Austin (USA) - Man kann Träume als Weissagungen der Zukunft oder als einen Weg des Gehirns auffassen, Erlebnisse zu verarbeiten. Zu welcher Ansicht man tendiert, hängt davon ab, ob man zum Aberglauben neigt oder sich eher auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützt. Ebenso kann man die erste Mondlandung als ein historisches Ereignis von großer Tragweite betrachten oder davon ausgehen, dass die Mondlandung mit Trickaufnahmen simuliert worden sei und in Wirklichkeit nie stattgefunden habe. Die meisten Menschen stützen sich vermutlich auf das, was offensichtlich oder plausibel ist. Doch es gibt auch viele, die in den Vorkommnissen noch etwas Weiteres sehen wollen, dem ihrer Meinung nach ein undurchschaubarer, geheimer (Verschwörungs-)Plan zugrunde liegt. Ob jemand anfällig für Aberglauben oder Verschwörungstheorien ist, hängt offenbar nicht direkt vom Grad der Bildung ab, sondern davon, wie viel Kontrolle jemand über sein eigenes Leben hat. Dies hat jetzt ein amerikanisches Forscherteam herausgefunden. In Experimenten mit gerasterten Bildern konnten sie zeigen, dass Menschen mit wenig Kontrollmöglichkeiten und wenig Macht deutlich häufiger in einem zufälligen Punktmuster etwas erkennen, was faktisch nicht vorhanden ist. Sie legen ihre Ergebnisse im Wissenschaftsmagazin "Science" dar.

"Menschen sehen nicht vorhandene Muster in allen Arten von Daten, sie sehen Trends in Aktienmärkten oder Gesichter in unbelebten Zusammensetzungen", erklärt Jennifer Whitson von der University of Texas. "Oder sie meinen, Verschwörungen in ihrem Bekanntenkreis zu erkennen. Das alles legt die Vermutung nahe, dass es ein tiefsitzendes Bedürfnis nach Ordnung gibt. Und das kann, wenn jemand wenig Kontrollmöglichkeiten hat, auch eine eingebildete Ordnung sein." Whitson und ihr Kollege Adam Galinsky von der Northwestern University hatten ihren Versuchspersonen Monitorbilder mit Punktrastern gezeigt. Auf einigen Bildern war außer den Punkten nichts Konkretes abgebildet. Auf anderen Bildern befand sich hinter den Punkten jeweils ein konkretes Bildmotiv, das wegen der zahlreichen Punkte davor aber nur verschwommen erkennbar war. Die tatsächlichen Bilder wurden von den Versuchspersonen zu 95 Prozent korrekt identifiziert. Jene Versuchspersonen aber, von denen aus Vor-Tests bekannt war, dass sie wenig Kontrolle über ihr Leben hatten, sahen in 43 Prozent der reinen Punktraster-Bilder noch Bildmotive, die faktisch nicht vorhanden waren.

In einem weiteren Experiment sollten die Probanden eigene Erlebnisse zu Papier bringen, in denen sie entweder machtlos gewesen waren oder alles im Griff gehabt hatten. Danach lasen sie kurze Geschichten über Jemandes Erlebnisse im Berufsleben. Diese Geschichten wiesen zusätzliche Handlungselemente auf, die mit dem eigentlichen Handlungsstrang nichts zu tun hatten. Ein Protagonist in solch einer Geschichte trug beispielsweise auf einem Meeting eine Idee vor, die allgemein gutgeheißen wurde. Erwähnt wurde in der Geschichte aber auch, dass sich der Held zufällig drei Mal den Fuß gestoßen hatte, bevor er in die Besprechung ging. Die Versuchspersonen, die zuvor ein Erlebnis beschrieben hatten, in dem sie selbst keine Kontrolle gehabt hatten, sahen in den Fußstoßszenen der Kurzgeschichte ein klares Vorzeichen auf das darauf folgende Geschehen. Jene Probanden, die sich vorher schreibend an ein Erlebnis erinnert hatten, in dem sie die volle Kontrolle hatten, neigten deutlich seltener zu dieser Sichtweise. Dies deutet darauf hin, dass Menschen auch von ihrem Aberglauben abzubringen sind, wenn man dafür sorgt, dass sie sich auf ihre Kontrollmöglichkeiten besinnen können.

Science
Quelle: "Lacking Control Increases Illusory Pattern Perception", J.A. Whitson, A.D. Galinsky; Science, Bd 322, S.115-117, 3.10.08


 

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