Lesefähigkeit: Umwelt spielt eine größere Rolle als gedacht

Ob ein Kind beim Lesenlernen schnelle und große Fortschritte macht oder Schwierigkeiten hat, hängt stärker von den Bedingungen seiner Umwelt ab, als man bisher angenommen hat
Columbus (USA) - Kinder, die am Beginn ihrer Schullaufbahn schlechte Lesefähigkeiten zeigen, können sich im Laufe einiger Jahre doch noch verbessern. Denn die Lesefähigkeit ist stärker von Umweltfaktoren und weniger von den Genen abhängig, als bisher angenommen. Dies konnte jetzt ein amerikanisches Forscherteam anhand von Zwillingsstudien belegen, wie sie im "Journal of Child Psychology and Psychiatry" darlegen.

"Wir müssen sicher genetische Einflüsse beim Lernen ernster nehmen, aber Kinder, die mit schwachen Lesekenntnissen in die Schule kommen, können bei gutem Unterricht gute Fortschritte machen", erklärt Stephen Petrill von der Ohio State University. "Unsere Forschungsergebnisse zeigen die Notwendigkeit für nachhaltige Anstrengungen, die sowohl genetische als auch Umwelteinflüsse einbeziehen, um die Leseentwicklung der Kinder voranzutreiben."

An der Studie nahmen 135 eineiige Zwillinge und 179 zweieiige Zwillinge teil. Ab ihrer Kindergartenzeit wurden sie beobachtet, dann noch einmal in der ersten Klasse und ein drittes mal im Jahr darauf. Die Lesefähigkeiten untergliederten die Forscher um Petrill in die Wort- und Buchstabenidentifikation, das Gespür für den Klang eines Wortes in Zusammenhang mit der Bedeutung des Wortes und die Geschwindigkeit der Buchstabenerkennung. Für jede dieser Einzelfähigkeit haben die Forscher die Rolle der Genetik und die Rolle der Umwelt in Anteilen beziffert. Demnach sind die Gene bei der Wort- und Buchstabenerkennung nur zu einem Drittel verantwortlich, während die Umwelt den stärkeren Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg hat. Das Bewusstsein für Wortbedeutung und Klang teilen sich die Gene und die Umwelt je zur Hälfte. Die Geschwindigkeit der Buchstabenerkennung ist zu drei Vierteln genetisch bedingt.

Doch bei der Messung des Fortschritts im Leseunterricht zeigte sich, dass dafür fast vollständig die Lernbedingungen verantwortlich sind. Das heißt, die didaktischen Fähigkeiten des Lehrers oder der Lehrerin, die Atmosphäre und Ausstattung des Klassenraums, das soziale Klima unter den Schülern entscheiden maßgeblich darüber, wie gut die Fortschritte sind, die ein Kind beim Lesenüben erzielt.

"Wir wissen sehr viel mehr über die genetischen und die Umwelteinflüsse auf unser Risiko, eine Herzkrankheit zu bekommen, als wir über die genetischen und die Umwelteinflüsse auf unsere Lesefähigkeit wissen", sagt Petrill. "Aber genau dies zu wissen, könnte uns helfen, die Kinder besser zu unterrichten."

© Wissenschaft aktuell
Quelle: "Genetic and environmental influences on the growth of early reading skills (p )",
Stephen A. Petrill, Sara A. Hart, Nicole Harlaar, Jessica Logan, Laura M. Justice, Christopher Schatschneider, Lee Thompson, Laura S. DeThorne, Kirby Deater-Deckard, Laurie Cutting; Journal of Child Psychology and Psychiatry, Early View 2010, DOI: 10.1111/j.1469-7610.2009.02204.x


 

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