Lebenserfahrung prägt Schönheitsempfinden

Zwillingsstudie belegt: Nicht die Gene, sondern persönliche Erlebnisse bestimmen, welche Gesichter wir attraktiv finden
Screenshot vom Online-Experiment
Screenshot vom Online-Experiment "Rate That Face" (www.testmybrain.org/setup.php?b=309)
© Germine et al.
Boston (USA) - Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Dass die Attraktivität eines Gesichtes – bis auf einige wenige grundsätzliche Aspekte – in höchstem Maße subjektiv empfunden wird, beruht offenbar auf der Summe ganz individueller Erfahrungen. Hinweise darauf liefert eine Zwillingsstudie, die US-Psychologen im Fachblatt „Current Biology” vorstellen. Ihre Untersuchungen zeigen: Selbst eineiige Zwillinge sind sich nicht zwingend einig, wenn es um die Beurteilung der Attraktivität von Gesichtern geht. Die Gene spielen dabei also maximal eine untergeordnete Rolle. Demnach ist das Empfinden eher ein Resultat der unzähligen Erlebnisse im Leben, die einzigartig für jeden Einzelnen sind.

„Bedeutend ist nicht die Sorte Umfeld, die diejenigen teilen, die in derselben Familie leben”, erläutert Laura Germine vom Massachusetts General Hospital und von der Harvard University. „Es ist weit subtiler und individueller.” Es schlösse möglicherweise Dinge ein wie die hochgradig persönlichen Erlebnisse mit Freunden oder Altersgenossen oder auch mit den Medien und sozialen Netzwerken. So könnten etwa ganz alltägliche Begegnungen oder Gesichter aus Zeitung oder Fernsehen ebenso eine Rolle dabei spielen wie die erste Freundin oder der erste Freund. Die Psychologen schätzen: Die individuellen ästhetischen Präferenzen für Gesichter stimmen jeweils zu etwa 50 Prozent mit denen eines anderen überein und zu rund 50 Prozent nicht. Das passe auch zum allgemeinen Empfinden, dass einerseits ein Model mit gutem Aussehen Erfolg haben kann, während andererseits Freunde endlos darüber streiten können, wer attraktiv ist und wer nicht.

Bestimmte Merkmale wie zum Beispiel ein sehr symmetrisches Gesicht bewerten die meisten Menschen als attraktiver. Dennoch bleibt es stets sehr subjektiv und immer ein Punkt für Diskussionen, welche Gesichter in welchem Maß als schön empfunden werden – und damit ein spannendes Forschungsthema für Psychologen. Frühere Studien zum ästhetischen Empfinden von Gesichtern hatten primär universelle Aspekte von Attraktivität im Fokus. In ihrer Studie wollten Germine und ihre Kollegen das Augenmerk nun mehr darauf legen, woher Unterschiede im subjektiven Empfinden kommen.

Dazu hatten sie zunächst anhand der Angaben von mehr als 35.000 Besuchern ihrer Forschungswebsite (Online-Experiment: „Rate That Face”) gezeigt, dass sich die individuellen Präferenzen, die jemand für Gesichter hegt, mit Hilfe eines Tests verlässlich messen lassen. Im nächsten Schritt arbeiteten sie mit australischen Zwillingspaaren, davon 547 eineiig und 214 zweieiig, aber selben Geschlechts. Die Zwillinge sollten die Attraktivität von 200 Gesichtern bewerten – von 1, gar nicht attraktiv, bis 7, sehr attraktiv. Da eineiige Zwillinge grundsätzlich das gleiche Erbgut besitzen, lassen sich im Vergleich genetische Einflüsse von Umweltfaktoren unterscheiden. Als die Psychologen die Bewertungen analysierten, stellten sie fest: Die ganz persönlichen und einzigartigen Erfahrungen spielen eine weit größere Rolle als die Gene. „Unsere Daten legen nahe, dass die individuelle Lebensgeschichte und Erfahrung die treibende Kraft hinter der individuellen Präferenz für Gesichter ist”, schreiben Germine und ihre Kollegen. Frühere Zwillingsstudien der Forscher hatten übrigens ergeben, dass die Fähigkeit, Gesichter wiederzuerkennen, im Gegensatz dazu genetisch veranlagt ist.

Ihre Arbeit gibt aber auch Aufschluss über die Entwicklung ästhetischen Empfindens im Laufe der Evolution. „Wir liefern ein seltenes Beispiel einer verlässlich und objektiv messbaren Verhaltenscharakteristik, die größtenteils von der Umwelt geprägt ist”, erläutern sie in ihren Ausführungen. „Der große Einfluss der Erfahrung auf die individuellen Präferenzen für Gesichter liefert einen neuen Einblick in die Evolution und den Aufbau des sozialen Hirns.” Gleichzeitig unterstütze dies die langjährige Behauptung, dass die Umwelt die individuelle Wahrnehmung dessen formt, was als attraktiv gilt.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: „Individual Aesthetic Preferences for Faces Are Shaped Mostly by Environments, Not Genes”, Germine et al., Current Biology, http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2015.08.048


 

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