Jugendwahn verschont nicht einmal die Toten
"Todesanzeigen und die darin enthaltenen Fotografien spiegeln unsere Gesellschaft zu einem bestimmten Moment in der Zeit wider", erklärt Keith Anderson von der Ohio State University. "Durch die Fotos, die für Todesanzeigen gewählt werden, erhalten wir Hinweise auf unsere Haltung gegenüber dem Alter und seinen Erscheiningsweisen. Unsere Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass wir in den 1990er Jahren das Altern bedeutend weniger akzeptieren konnten als noch in den 60ern."
Anderson und seine Kollegin Jina Han sahen die mit Porträt versehenen Todesanzeigen im "Plain Dealer" durch, einer großen Regionalzeitung im US-Bundesstaat Ohio. Alle zehn Jahre - 1967, 1977, 1987 und 1997 - analysierten sie die Todesanzeigen eines Zeitungsjahrgangs. Den Jahrgang 2007 haben sie deshalb nicht mehr in Betracht gezogen, weil die Zeitung zu diesem Zeitpunkt eine große Umstrukturierung erfahren hatte und die Anzeigen von 2007 nicht mehr mit den Anzeigen von 1997 verglichen werden konnten. Die Forscher schätzten jeweils das Alter der abgebildeten Person und verglichen es mit dem Alter des Verstorbenen zum Todeszeitpunkt. Ergab sich eine Differenz von mehr als 15 Jahren, stuften die Wissenschaftler das Bild als "altersunangemessen" ein.
Es zeigte sich, dass die Toten auf den Bildern von Jahrzehnt zu Jahrzehnt häufiger "altersunangemessen" abgebildet waren: 1967 passten nur 17 Prozent der Bilder nicht zum Alter des Toten zum Sterbezeitpunkt. Im Jahr 1977 waren es schon 27 Prozent, 1987 stieg der Prozentsatz auf 30 Prozent und im Jahr 1997 lag er schließlich bei 36 Prozent. Dabei waren Frauen von dem Jugendwahn bei den Toten sogar doppelt so häufig betroffen wie Männer. Natürlich wollten die Angehörigen die Verstorbenen für ihre Nachkommen in der Blüte ihrer Jahre im Bild festhalten, so die Forscher. Doch bemerkenswert sei, wie wir als Gesellschaft diese Blüte der Jahre definierten und wie sich diese Definition im Laufe der Zeit geändert habe.