Evolution: Anpassung an kaltes Klima erhöhte Migränerisiko

Durch natürliche Selektion verbreitete sich bei den frühen Menschen in Europa und Asien eine Genvariante, die auch anfälliger für Migräne macht
Die Häufigkeit von Migräneerkrankungen ist in Afrika sehr gering (gelb), in Asien höher (orange) und in West- und Nordeuropa am höchsten (rot).
Die Häufigkeit von Migräneerkrankungen ist in Afrika sehr gering (gelb), in Asien höher (orange) und in West- und Nordeuropa am höchsten (rot).
© Lokal_Profil / Creative-Commons-Lizenz (CC BY-SA 2.5), https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.de
Leipzig - Im Gegensatz zu Afrikanern tragen die meisten Europäer und viele Asiaten in ihrem Erbgut ein verändertes Gen, das ein erhöhtes Migränerisiko anzeigt. Diese Genvariante könnte sich als vorteilhaft erwiesen und durch natürliche Selektion verbreitet haben, weil es zu einer Anpassung an ein Leben in kalten Klimazonen beiträgt. Das ergaben vergleichende Genanalysen von Menschen aus verschiedenen Regionen der Erde, wie ein internationales Forscherteam im Fachblatt „PLoS Genetics“ berichtet. Das Gen dient der Wahrnehmung von Kälte über spezielle Rezeptoren und ist an der Regulation der Körpertemperatur beteiligt. Auf welche Weise das veränderte Gen die Anfälligkeit für Migräne erhöht, ist noch nicht bekannt.

„Die Besiedlung neuer Lebensräume in Europa und Asien war möglicherweise mit genetischen Veränderungen verbunden, die den frühen Menschen geholfen haben, sich an niedrigere Temperaturen anzupassen“, sagt Aida Andres vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Beispielsweise habe man im Erbgut von Menschen, die in Polarregionen leben, mehrere Genvarianten gefunden, die den Fettstoffwechsel so verändern, dass eine fettreiche Ernährung ohne Gesundheitsschäden möglich ist. Es sei aber weitgehend unbekannt, wie sich die Einwanderer aus dem tropischen Afrika an die auch in den gemäßigten Zonen bereits deutlich kühleren Temperaturen angepasst haben. So liegt die durchschnittliche Jahrestemperatur in Nigeria bei 28 Grad Celsius, in Finnland dagegen nur bei 6 Grad.

Die Forscher untersuchten, ob sich die Genregion des Kälterezeptors TRPM8 bei Menschen aus verschiedenen Klimazonen unterscheidet. Dazu nutzten sie veröffentlichte DNA-Sequenzen menschlicher Genome. Sie fanden große Unterschiede in einem DNA-Abschnitt, der die Aktivität des TRPM8-Gens reguliert. So waren 88 Prozent der Menschen finnischer Abstammung Träger einer bestimmten Variante dieses Genbereichs, die in der Bevölkerung Nigerias nur bei 5 Prozent vorkam. Der Anteil an Menschen mit dem veränderten Gen war umso größer, je höher der Breitengrad ihres Lebensraums war. Deshalb haben auch US-Amerikaner europäischer Abstammung ein größeres Migränerisiko als Afroamerikaner.

Weitere Analysen ergaben, dass sich die neue Genvariante im Verlauf der vergangenen 25.000 Jahren aus ihrer ursprünglichen, noch heute in Afrika vorherrschenden Form entwickelt haben muss. Das ist nur durch einen starken Selektionsdruck, das heißt einen großen Überlebensvorteil zu erklären. Und dieser Vorteil war größer als der damit verbundene Nachteil einer erhöhten Anfälligkeit für Migräne. Der genaue Zusammenhang zwischen Kälteempfindung und Migräne ist noch nicht aufgeklärt. Es sei aber interessant, so die Autoren, dass das Trinken von kaltem Wasser in einigen Fällen einen Migräneanfall auslösen kann. Außerdem gebe es Hinweise darauf, dass der TRPM8-Rezeptor auch direkt an der Wahrnehmung von Kälteschmerz und anderer Schmerzen beteiligt ist.

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