Welche Sprache sprachen die Astronomen von Nebra?

Die Menschen, die vor 3600 Jahren auf der so genannten Himmelsscheibe von Nebra die erste konkrete Himmelsdarstellung abbildeten, sprachen weder Keltisch noch Germanisch - sondern den Vorläufer Indoeuropäisch in seiner noch kaum ausdifferenzierten Form
Leipzig - Seit 1999 die berühmte Himmelsscheibe von Nebra entdeckt wurde, spricht alle Welt nur von den erstaunlichen Kenntnissen der Bronzezeit-Astronomen. Kurzerhand wurde die Sprache, in der diese prähistorischen Himmelskundler sich gegenseitig ihre Mutmaßungen über den Himmel mitteilten, als Keltisch klassifiziert. Doch dass diese Zuordnung eher etwas mit einer weit verbreiteten "Keltomanie" als mit gesichertem Wissen zu tun hat, zeigt jetzt ein Leipziger Sprachwissenschaftler: Als die Scheibe um 1600 vor Christus vergraben wurde, noch gar kein Keltisch und auch noch kein Germanisch. Das belegt der Forscher anhand von Gewässernamen in der Gegend um Nebra. Man verständigte sich in jener Sprache, die die Basis der meisten europäischen Sprachen bildete, nämlich auf Indoeuropäisch beziehungsweise Indogermanisch in seiner noch kaum ausdifferenzierten Form, schreibt der Forscher in einem Aufsatz im "Eurasischen Magazin".

"In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde fast alles, was in Europa an Altertümlichem gefunden wurde, den Kelten zugeschrieben. Diese Welle erfasste auch die Sprachwissenschaft und Namenkunde, was dazu führte, dass man sogar im Baltikum keltische Namen zu finden glaubte", schreibt Jürgen Udolph von der Universität Leipzig. "Die Wissenschaft hat diese Periode längst überwunden, aber unter interessierten Laien und angesichts der Himmelsscheibe ist die Keltomanie zum Teil wieder auferstanden." Anhand von Gewässernamen, unter denen die ältesten Namen überhaupt zu finden sind, ortet Udolph als Keimzelle der keltischen Sprachen den Westalpenraum und das Rhône-Gebiet. Vor den ersten Jahrhunderten des ersten Jahrtausends vor Christus lässt sich jedoch keine keltische Sprache nachweisen. Aber zu der Zeit lag die Himmelsscheibe schon einige hundert Jahre in der Erde.

"Die Antwort auf die Frage, welche Sprache die Nutzer der Himmelsscheibe gesprochen haben dürften, liegt auch im Ortsnamen Nebra selbst verborgen", erklärt Udolph. Der Ortsname Nebra ist nämlich auch ein Flussname, genauer ein Teilabschnittsname der Unstrut. "Es gibt eine Schicht von Gewässernamen in Europa, die aus keiner der späteren indogermanischen Einzelsprachen erklärt werden kann und die aus voreinzelsprachlicher Zeit stammen muss." Bereits frühere Namenforschungen hatten nämlich gezeigt, dass es europäische Gewässernamen mit Wortschatz-Elementen gibt, die nur in ostindogermanischen Sprachen wie Indisch, Tocharisch oder Iranisch nachgewiesen werden können. Zu dieser Schicht von ganz alten Gewässernamen gehört auch der Flussname "Nebra", ebenso wie "Saale", "Unstrut" und "Jena" - also genau die Region, in der auch die Himmelsscheibe entstanden war. Dass Menschen vor etwa viertausend Jahren aus weit entfernten ostindogermanischen Gegenden ins heutige Mitteldeutschland eingewandert sind, wird in der Forschung nicht angenommen. Allenfalls eine Einwanderung aus dem Baltikum scheint plausibel zu sein, da es hier ein "Kontinuitätszentrum indogermanischer Gewässernamen" gibt.

Wie der Stamm der Himmelskundler von Nebra hieß, wird für immer im Dunkel der Frühgeschichte bleiben. Aber sie und ihre unmittelbaren Vorfahren haben die Gewässer um sich herum benannt - auf Indoeuropäisch, das damals noch weit davon entfernt war, sich in das Germanische, Keltische, Slavische zu unterteilen.

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Quelle: "Sprachen die Nutzer der Himmelsscheibe von Nebra wirklich keltisch?", Jürgen Udolph, Eurasisches Magazin, 02.04.10. http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID=20100411


 

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