Weißer Fleck auf der Sprachen-Landkarte entdeckt

Völlig unerwartet haben Forscher in Nordost-Indien eine Sprache namens Koro entdeckt, von deren Existenz die Wissenschaft bislang nichts wusste. Gleichzeitig ist diese Sprache auch schon stark vom Aussterben bedroht: Die Sprache hat nur noch wenige Sprecher und besitzt keine Schrift
In der Hochgebirgslandaschaft des Distrikts Arunachal Pradesh in Nordostindien entdeckten Forscher das bisher unbekannte Koro.
In der Hochgebirgslandaschaft des Distrikts Arunachal Pradesh in Nordostindien entdeckten Forscher das bisher unbekannte Koro.
© Wikipedia / Appaji
Washington (USA) - Eigentlich nimmt die Zahl der Sprachen dieser Welt ständig ab. Viele kleine Sprachen haben nur noch wenige - meist betagte - Sprecher. Wenn sie sterben, verklingt auch ihre Sprache für immer. Umso überraschender ist es, dass die Sprachen-Karte offenbar doch noch weiße Flecken aufweist: In Nordost-Indien entdeckten Linguisten jetzt durch puren Zufall eine Sprache, die auf keiner Sprachenliste aufgeführt wird. Die Sprache nennt sich Koro, hat noch etwa 800 Sprecher und keine Schrift - wodurch ihre Chancen auf ein längerfristiges Überleben sehr gering sind. Für die Forschung ist dies in diesem Fall besonders tragisch, da Koro offenbar ganz besondere Charakteristiken aufweist.

"In der wissenschaftlichen Buchhaltung stellt Koro nur einen Eintrag von 6909 Sprachen weltweit dar ... Aber der Beitrag von Koro zur Sprachwissenschaft ist sehr viel größer, als die verschwindend kleine Zahl seiner Sprecher vermuten lässt", schreibt K. David Harrison in seinem gerade erschienenen Buch "The Last Speakers". "Koro bringt eine ganz neue Perspektive, Geschichte, Mythologie und Grammatik zu dem hinzu, was bisher bekannt ist."

Eigentlich waren K. David Harrison, Gregory Anderson und Ganesh Murmu vom "National Geographic's Enduring Voices Project" im indischen Distrikt Arunachal Pradesh unterwegs, um zwei wenig bekannte Sprachen - Aka und Miji - zu erforschen. Auf der Suche nach Sprechern dieser Sprachen hörten sie eine dritte Sprache, mit der sie nicht gerechnet hatten und die auch sehr verschieden von Aka und Miji klang. Das war Koro, eine Sprache, von der die Welt bisher überhaupt keine Notiz genommen hatte. Dabei ist Koro nicht einfach nur ein Dialekt der anderen Sprachen dieser Gegend. Koro gehört zwar zur großen Familie der tibeto-burmanischen Sprachfamilie, doch zum geografisch benachbarten Aka bestehen kaum Gemeinsamkeiten. So nennt man einen Berg auf Aka "phù", auf Koro hingegen "nggo". Ein Schwein heißt bei den Aka-Sprechern "vo", bei den Koro-Sprechern "lele". Aka ist laut Anderson und Harrison von alters her die Sprache der Sklavenhändler in dieser Region. Möglicherweise ist Koro die Sprache der verkauften Sklaven, was die großen Unterschiede der beiden Sprachen erklären könnte.

Wie kann es sein, dass Forscher im 21. Jahrhundert noch eine Sprache entdecken konnten, von deren Existenz bisher niemand wusste? Ein Grund ist, dass man für die Region Arunachal Pradesh einen besonderen Passierschein benötigt. Außerdem handelt es sich um eine sehr unwegsame Gegend. Trotz alledem konnten die Forscher einige tausend Wörter notieren und Sprachaufnahmen machen.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: "The Last Speakers: The Quest to Save the World's Most Endangered Languages", K. David Harrison, Verlag National Geographic, 2010, ISBN 978-1426204616
National Geographic's Enduring Voices Project: http://www.nationalgeographic.com/mission/enduringvoices/about-the-project.html


 

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