Nicht ohne meinen Dialekt!

Wenn Menschen ihre Heimatregionen aus beruflichen Gründen verlassen, dann bevorzugen sie Gegenden, in denen ein ähnlicher Dialekt wie zu Hause gesprochen wird. Die Beharrlichkeit des Dialekts könne sogar die wirtschaftliche Mobilität bremsen, vermuten Forscher
Marburg/Jena - "Wir können alles außer Hochdeutsch" - mit diesem Spruch wollten die Menschen aus Baden-Württemberg zeigen, wie leistungsfähig sie trotz ihrer Dialekte seien. Jetzt belegt eine Studie von Linguisten und Ökonomen, dass Dialekt zwar nicht die Leistungsfähigkeit der Menschen beeinträchtigt, aber ihre Mobilität. Ein Sachse wird demnach kaum der Arbeit wegen nach Bayern umziehen, und der Bayer nicht nach Sachsen - es sei denn, der finanzielle Anreiz ist so groß, dass er nicht ignoriert werden kann.

"Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass der wirtschaftliche Austausch von kulturellen Identitäten beeinflusst wird, die sich in der Vergangenheit ausgebildet haben", schreibt das Forscherteam um Alfred Lameli von der Universität Marburg. Die Wissenschaftler bedienten sich für ihre Studie eines ungewöhnlichen Ansatzes: Sie verglichen Daten der Arbeitsmigration innerhalb Deutschlands aus den Jahren 2000 bis 2006 mit Sprachdaten aus dem 19. Jahrhundert. Das Deutsche gilt nämlich, wenn man es in Bezug auf seine Dialekte betrachtet, als eine der bestdokumentierten Sprachen der Welt. Dies verdankt sie dem Dialektologen Georg Wenker (1852-1911), der zwischen 1879 und 1888 eine Erhebung der deutschen Dialekte durchführte, indem er an über 45.000 Orten des Deutschen Reichs hochsprachliche Sätze in die jeweiligen Mundarten übersetzen ließ. So entstand ein umfassendes Bild der regionalen Unterschiede des Deutschen. Durch den Abgleich war zu sehen, dass die Menschen, wenn sie denn schon ihre Heimat verlassen müssen, um Arbeit zu finden, in Gegenden ziehen, die vom Dialekt her ihrer vertrauten Gegend ähneln. Den Faktor der geografischen Nähe haben die Forscher bei ihren Untersuchungen herausgerechnet.

Die Verteilung der deutschen Mundarten im Raum ist das Ergebnis jahrhundertelanger Prozesse: Historische Wellen von Massenmigration, religiöse und politische Teilungen, Handelsrouten. In manchen Regionen verlaufen die Dialekte analog zur historischen Verteilung von Katholiken und Protestanten, in anderen gehören sie zu historischen Territorien, in denen sie gewachsen sind. Wieder andernorts entwickelten sich Mundarten in speziellen landschaftlichen Gegebenheiten wie etwa Gebirgstälern oder in der Nähe eines großen, den geografischen Raum teilenden Flusses. Und natürlich entwickeln sich die Sprachvarianten als Mittel der Kommunikation im Kontakt der Sprecher. Insofern fungieren Dialekte als "eine Art regionalen Gedächtnisses", wie die Autoren schreiben. Auf diese Weise bildet die Sprache Identitäten ab, die - so zeigt die Studie - die Zeit überdauern und den Raum prägen, obwohl heute weniger Dialekt verwendet wird als früher und die Menschen insgesamt mobiler geworden sind.

Die Befunde der Studie deuten darauf hin, dass es strikte kulturelle Grenzen innerhalb eines Landes gibt, die den ökonomischen Austausch zwischen den Regionen beeinflussen: "Diese Grenzen sind sehr zeitbeständig", stellen die Forscher fest. "Sie haben sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt und werden vermutlich auch in Zukunft bestehen. Selbst innerhalb eines geografischen Nahbereichs scheinen Menschen im Durchschnitt nicht Willens zu sein, in eine kulturell unvertraute Umgebung umzuziehen." Die Existenz kultureller Grenzen behindert wahrscheinlich auch die Vereinheitlichung des nationalen Arbeitsmarktes, so die Autoren der Studie.

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Quelle: "Dialects, Cultural Identity, and Economic Exchange", Oliver Falck, Stephan Heblich, Alfred Lameli, Jens Südekum, IZA DP No. 4743, Februar 2010, im Internet herunterladbar unter: http://ftp.iza.org/dp4743.pdf


 

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