Das Bo ist tot

Neu Delhi (Indien) - Wenn der letzte Sprecher einer Sprache stirbt, stirbt mit ihm auch die Sprache. Wurde zuvor nicht schriftlich oder in Tonaufnahmen etwas von dieser Sprache aufgezeichnet, so ist damit ein Stück menschliche Kultur unwiederbringlich verloren. Jetzt ist Boa Sr, die letzte Sprecherin des Bo, gesprochen von einem Ureinwohner-Stamm auf den Andaman-Inseln im Indischen Ozean, im Alter von etwa 85 Jahren gestorben. Zwar konnte eine indische Forscherin der alten Frau noch ein paar Geschichten und Lieder entlocken und diese aufzeichnen. Aber dennoch ist mit dem Bo nun eine der ältesten bisher noch lebenden Sprachen der Menschheit - sie wurde vermutlich schon in der Jungsteinzeit gesprochen - ausgestorben.

Die Andamanen sind eine Gruppe von 204 Inseln im Indischen Ozean, die zu Indien gehören. Unter Forschern werden sie als "anthropologischer Traum" bezeichnet, weil die Ureinwohner sich genetisch auf die frühesten Einwanderer nach Südasien zurückverfolgen lassen und die Sprachfamilie der andamanischen Sprachen vermutlich mindestens bis zur Jungsteinzeit zurückgeht. Die andamanischen Sprachen teilen sich in vier Sprechergruppen: die Onge, die Jarawa, die Sentinelesen und die Großandamanen. Diese Gruppen gliedern sich wiederum in Einzeldialekte auf. Die Sprache Bo, die Boa Sr noch beherrschte, gehörte zur Gruppe der Großandamanen, die ohnehin die kleinste Sprachgruppe auf den Andamanen bilden. Insgesamt, so schätzt man, gibt es von allen vier andamanischen Sprachgruppen zusammen nicht einmal mehr 500 Sprecher. Boa Sr hatte ihre Muttersprache Bo zuletzt nur noch mit ihren Eltern sprechen können. Doch diese sind seit mindestens 30 Jahren tot. Anvita Abbi von der Jawaharlal Nehru University in Delhi hat noch einige Geschichten und Lieder in Bo, die Boa Sr vorgetragen hat, dokumentieren können. (Kostprobe unter: http://www.andamanese.net/songs/Track02.wav)