Arm 2.0: Wie das Hirn komplexe Prothesen auch mit Gefühl steuern kann

Versuche mit Affen ebnen den Weg zur Hirnsteuerung von Prothesen, die auch das Tastempfinden im Gehirn berücksichtigen
Eine Prothese wie diese soll dank Hirn-Maschine-Schnittstelle und der nun festgestellten Reizmuster eines Tages möglichst echt das Anfassen vermitteln können.
Eine Prothese wie diese soll dank Hirn-Maschine-Schnittstelle und der nun festgestellten Reizmuster eines Tages möglichst echt das Anfassen vermitteln können.
© PNAS, 2013
Chicago (USA) - Ob, wann und wo eine Hand berührt wird: Solche elementaren Empfindungen sollen eines Tages auch Menschen mit Prothesen wieder spüren und darauf reagieren können. Derzeit funktioniert das nur ansatzweise, obwohl modernster Handersatz – für Roboter oder auch für amputierte Menschen – bereits hochkomplex, feinfühlig und dennoch robust ist. Jetzt sind US-Forscher der Prothese, die direkt mit dem Gehirn kommuniziert, ein gutes Stück näher gekommen. Sie konnten in Versuchen mit Rhesusaffen zeigen, welche elektrischen Signale im Hirn den verschiedenen Druckempfindungen an der Hand entsprechen. Dank dieser Ergebnisse könnten sich künftige Prothesen mithilfe eines Hirn-Interfaces ganz natürlich anfühlen, schreibt das Team in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Bisher habe man vor allem Bewegungssignale entschlüsselt und damit Armprothesen bewegen können – sie seien aber kein vollwertiger Armersatz, wenn sie nicht auch das Berühren und Berührtwerden wahrnehmen.

„Unsere Fähigkeit, mit Dingen umzugehen, beruht grundlegend auf den Sinnessignalen der Hand“, schreibt das Team um Sliman Bensmaia von der University of Chicago. „Um die motorische Funktion mit Arm-Neuroprothesen wieder herzustellen, muss der Gelähmte oder Amputierte auch somatosensorisches Feedback bekommen.“ Neben den Bewegungssignalen des Hirns an den Arm seien auch die Tastsignale nötig, die der Arm zum Hirn sendet. Entsprechend wollten Bensmaia und Kollegen herausfinden, wie das Gehirn des intakten Körpers Berührungswahrnehmungen verarbeitet. Diese Aktivitätsmuster der Nervenzellen galt es dann, durch Stimulieren des Hirns künstlich zu reproduzieren. Im Vorfeld hatten die Forscher drei sechsjährige Rhesusäffchen so trainiert, dass sie verschiedene Berührungsarten ihrer Hände – unterschiedliche Finger und unterschiedlichen Druck –klar anzeigen konnten. Das sensorische System der Affen ist dem menschlichen sehr ähnlich, so dass es als guter Ersatz gilt. Genau dort in der rechten Hirnhälfte, wo die Arm- und Handbewegungen verarbeitet werden, saß ein kleines Elektrodenfeld im sogenannten somatsensorischen Cortex (S1) der Tiere. Es diente dazu, die elektrischen Hirnmuster der Handberührungen abzulesen und später gezielt ähnliche Signale auszulösen.

Das erste Experiment konzentrierte sich auf den genauen Berührungspunkt auf der Handinnenfläche: Ein stumpfer Kegel berührte etwa nacheinander kleinen Finger und Zeigefinger oder Daumen und Ringfinger, was die Äffchen so anzeigten, wie sie es gelernt hatten. Mithilfe der Elektroden konnten die Forscher die entsprechenden elektrischen Signale auslesen. Wenn sie danach dieselben Signale als Stimulus im Hirn auslösten, reagierte die Tiere genauso, als hätte man ihre Finger berührt. Im zweiten Experiment wiederholte sich der Versuch, allerdings mit leichtem und stärkerem Druck. Das Team entwickelte dabei einen Algorithmus, um mit passender Strommenge entsprechende Druckstärke zu stimulieren – und wieder reagierten die Affen, als hätten sie den Druck am Finger gespürt. Im dritten Versuch schließlich wollten die Forscher das Berührungsgefühl beim Greifen analysieren: In dem Moment, in dem die Hand einen Gegenstand anfasst oder loslässt, entsteht im Hirn eine andere Signalsalve als während des konstanten Festhaltens. Tatsächlich lies sich auch dies mithilfe der Elektroden elektrisch auslösen.

„Wir erwarten, dass dieses biomimetische Feedback einen wichtigen Schritt darstellt, solchen Menschen den Tastsinn zurückzugebeh, die ihn verloren haben“, schreiben Besmaia und Kollegen. Ihre Tests lieferten eine Art Anleitung, wie sich sensorisches Feedback zwischen Prothese und Hirn künftig mithilfe einer Gehirn-Computer-Schnittstelle in künstliche Arme integrieren lässt. Zwar versetzen die derzeit besten Hightech-Handprothesen manchen amputierten Menschen ebenfalls schon in die Lage, Berührungen an den Fingern wahrzunehmen oder auszuführen. Dazu werden die Prothesen direkt mit den verbliebenen Nervenenden im Inneren des Armstumpfs verbunden. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Amputation nicht zu lange zurückliegt und die Nerven noch vorhanden sind. Bensmaias Team konzentriert sich auf die sensorischen Aspekte eines großen interdisziplinären Forschungsprojekts namens „Revolutionizing Prosthetics“, gefördert von der Verteidigungseinrichtung DARPA. Unter der Leitung von Physikern der Johns Hopkins University entwickelt es Armprothesen, die bei Amputierten die natürliche motorische Bewegungskontrolle und Empfindsamkeit optimal wieder herstellen sollen.

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