Volkszählung mit Münzen
"Münzhorte sind ein hervorragender Indikator für inneren Aufruhr", erklärt Peter Turchin von der University of Connecticut. "Das ist ein allgemeines Phänomen, nicht nur in Rom. So können uns kleine Katastrophen, die kleinen Bevölkerungsgruppen passieren, in ihrer Häufung gute Anhaltspunkte dafür liefern, was auf einer Makro-Ebene einer ganzen Gesellschaft widerfahren ist." Peter Turchin und sein Kollege Walter Scheidel von der Stanford University haben die zeitliche Verteilung von unangetastet gebliebenen Münzhorten als Grundlage für ihre Berechnungen genommen. Die Hauptidee dabei ist, dass Menschen in Zeiten von Gewalt und Unruhe dazu neigten, ihr Geld irgendwo zu vergraben - um es in Friedenszeiten wieder auszugraben. Blieb der Hort aber dennoch in der Erde, liegt die Vermutung nahe, dass die Eigentümer für immer aus dem Krisengebiet geflüchtet oder gar umgekommen sind. Auf jeden Fall aber steht ein Münzhort, den die eigentlichen Eigentümer später nicht mehr angetastet haben, für eine wie auch immer geartete Dynamik in der Bevölkerungsentwicklung.
"Untersucht man die Anzahl von Münzhorten während des ersten vorchristlichen Jahrhunderts, stellt man fest, dass diese Periode für die Menschen so unheilvoll war wie der Krieg mit Hannibal [im dritten Jahrhundert vor Christus]", erklärt Turchin. "Es war im ersten Jahrhundert vor Christus sogar noch schlimmer, denn es gibt aus dieser Zeit zwei Anhäufungen von jeweils mehreren unangetasteten Münzhorten. Da ist es schwer vorstellbar, wie in einer solchen Periode der Gewalt eine Bevölkerung wachsen soll."
Die Forscher widersprechen mit ihren Erkenntnissen der so genannten "High Count"-Hypothese, die davon ausgeht, dass sich die Einwohnerzahl vom zweiten Jahrhundert vor Christus bis zu den Volkszählungen unter Kaiser Augustus verdoppelt bis verdreifacht habe. "Wenn die "High Count"-Hypothese korrekt wäre, müsste die römische Geschichte neu geschrieben werden", schreiben die beiden Forscher, "denn die Existenz einer so hohen Einwohnerzahl würde eine wirtschaftliche Kraft voraussetzen, die wegen der gegebenen vormodernen Standards eine völlig neue Betrachtung der Möglichkeiten vormoderner Wirtschaftssysteme verlangen würde." Die entgegengesetzte "Low Count"-Hypothese geht hingegen davon aus, dass sich diese scheinbare Steigerung der Bevölkerung dadurch auflöst, dass vermutlich in den Volkszählungen unter Kaiser Augustus, die um die Zeitenwende herum stattfanden, bereits Frauen und Kinder mitgezählt wurden. In den Jahrhunderten zuvor waren jedoch nur Männer gezählt worden. Zieht man nun die eventuell später mitgezählten Frauen und Kinder wieder ab, verbleibt "netto" sogar eine geringere Bevölkerungszahl im späten ersten Jahrhundert vor Christus. Allerdings gibt es keine schriftlichen Quellen, die belegen, dass unter Augustus Frauen und Kinder mitgezählt wurden. Hier könnten nun die Erkenntnisse aus dem Münzhort-Ansatz von Turchin und Scheidel greifen. "Unser Modell passt sehr viel besser zum 'Low Count', sagt Walter Scheidel. "Ich bin nicht sicher, ob es diesen allein schon beweist, aber es liefert zumindest zusätzliche Argumente für die 'Low Count'-Hypothese."