Letzte Bastion der Neandertaler gefunden?

Aktuelle Werkzeug-Funde im Norden Russlands deuten darauf hin, dass der Neandertaler mehrere Tausend Jahre länger existiert haben könnte als gedacht
Landkarte zeigt die Lage von Byzovaya am nordwestlichen Ende des Urals
Landkarte zeigt die Lage von Byzovaya am nordwestlichen Ende des Urals
© Science / AAAS
Byzovaya (Russland) - Neandertaler und moderner Mensch haben womöglich länger nebeneinander gelebt als bislang angenommen. Darauf deuten Funde mehrerer Hundert Steinzeit-Werkzeuge, die internationale Forscherteams am nordwestlichen Rand des Urals nahe dem Polarkreis ausgegraben haben. Obwohl die Artefakte nur zirka 33.000 Jahre alt sind, wurden sie in einer Art bearbeitet, wie Wissenschaftler es bisher ausschließlich dem Neandertaler zugeschrieben hatten. Bisherigen Annahmen zufolge war dieser Urmensch zu dieser Zeit aber bereits von der Bildfläche verschwunden. Die Fundstätte könnte somit sogar eines der letzten Refugien des Neandertalers gewesen sein, berichten die Anthropologen im Wissenschaftsmagazin "Science". Damit hätte der Neandertaler nicht nur zeitlich länger parallel zum modernen Menschen gelebt, sondern auch rund 1000 Kilometer nördlicher als bisherige Fundstätten vermuten ließen.

In der Nähe des Dorfes Byzovaya haben unterschiedliche Forscherteams in diversen Ausgrabungen während der vergangenen Jahre neben Überbleibseln von Mammuts und anderen Tieren insgesamt 313 Werkzeug-Artefakte gefunden. Der Steinzeit-Experte Ludovic Slimak von der Universität Toulouse und seine Kollegen aus Frankreich, Norwegen und Russland rätseln: Radiocarbon-Datierungen und andere Messungen am Fundort lassen darauf schließen, dass die Werkzeuge 31.000 bis 34.000 Jahre alt sind und damit aus dem Jungpaläolithikum stammen. Die Werkzeugtechnik deutet dagegen auf das mittlere Paläolithikum mehrere Tausend Jahre zuvor.

Ob in der Nähe des Polarkreises nun aber tatsächlich eine der letzten Neandertaler-Bastionen war oder ob modernere Menschentypen dort einfach uralte Methoden benutzten, ist sehr schwer mit absoluter Gewissheit zu sagen. Denn menschliche Fossilien fehlen - an der Fundstätte wurden bisher nur Tierknochen ausgegraben. Immerhin sind sich Slimak und seine Kollegen sicher, dass die Artefakte direkt vergleichbar mit Werkzeugen sind, die an älteren Fundstätten in Europa typischerweise mit Neandertalern assoziiert werden. Sollten diese jedoch von modernen Menschen stammen, würde dies bedeuten, dass dieser arktische Homo sapiens uralte Methoden genutzt hätte. Das wäre ebenfalls bemerkenswert, da sich fortschrittlichere Bearbeitungstechniken schon lange rund um die Welt ausgebreitet hatten.

Neandertaler waren eine frühe Spezies der Menschen, die die Erde im mittleren Paläolithikum (vor rund 200.000 bis 40.000 Jahren) dominierten. Vor 75.000 bis 50.000 Jahren begann dann der moderne Mensch, den Neandertaler nach und nach zu verdrängen. Allerdings geht die Forschung davon aus, dass die beiden Menschentypen viele Tausend Jahre nebeneinander her lebten.

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Quelle: "Late Mousterian Persistence near the Arctic Circle", Ludovic Slimak et al.; Science (Vol. 332, S. 841)


 

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