Hungergedächtnis: Aus gestressten Küken werden fette Vögel

Unsichere Versorgungslage beim Start ins Leben verstärkt spätere Fettspeicherung und verändert das Verhalten bei der Nahrungssuche
Die Nahrung des Stars besteht aus Insekten, Würmern und anderen Kleinlebewesen, aber auch Früchte und Nahrungsabfälle werden genutzt.
Die Nahrung des Stars besteht aus Insekten, Würmern und anderen Kleinlebewesen, aber auch Früchte und Nahrungsabfälle werden genutzt.
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Newcastle upon Tyne (Großbritannien) - Ungünstige Bedingungen in einer frühen Lebensphase können sich auf Essverhalten und Körpergewicht im späteren Leben auswirken. Das haben jetzt britische Biologinnen am Beispiel von Staren näher untersucht. Sehr kleine Küken, die es schwer hatten, sich gegen größere Nestlinge zu behaupten, produzierten als erwachsene Vögel mehr Körperfett und entwickelten ein effizienteres Verhalten bei der Nahrungssuche. Die benachteiligten Vögel verhielten sich so, als ob sie ein „Hungergedächtnis“ hätten und Vorsorge träfen, um zukünftige Zeiten knapper Nahrung besser zu überstehen, schreiben die Forscherinnen im Fachblatt „Animal Behaviour”. Sie verweisen auf einen möglicherweise vergleichbaren Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit beim Menschen und ungünstigen Lebensumständen in der frühen Kindheit.

„Wir konnten zeigen, dass Vögel, die als Küken gegen größere Geschwister um Nahrung kämpfen mussten, später eifriger nach Nahrung suchten und eher dazu neigten, zu viel zu fressen“, sagt Clare Andrews von der Newcastle University. Auch wenn die Ernährung der Küken unter diesen erschwerten Bedingungen noch ausreichend war, genügten offenbar Konkurrenz-Stress und unsichere Nahrungsversorgung, um dauerhafte Veränderungen im Verhalten bei der Nahrungssuche zu bewirken. Das von Melissa Bateson geleitete Forscherteam sammelte aus mehreren Nestern 37 zwei Tage alte Küken frei lebender Stare (Sturnus vulgaris). Jeweils zwei Geschwister setzten die Biologinnen in ein fremdes Nest, so dass diese Stiefküken entweder die kleinsten oder größten Nestlinge waren. Die kleinsten Küken im Nest müssen mehr als die anderen darum kämpfen, genügend Futter zu erhalten, während die größeren begünstigt sind. Nach zehn Tagen wurden alle Testvögel sechs Wochen lang im Labor unter gleichen Bedingungen bei optimaler Ernährung aufgezogen. Dabei zeigten die Vögel beider Gruppen keine Unterschiede in der Entwicklung des Körpergewichts.

Im Alter von 10 bis 13 Monaten aber hatten die benachteiligten Vögel größere Fettdepots gebildet als die anderen. Außerdem sammelten diese Vögel angebotene Nahrung schneller und nahmen nach einer kurzen Hungerperiode mehr Nahrung zu sich als die begünstigt aufgewachsenen. Im Verhalten bei der Nahrungssuche ergab sich ein weiterer auffallender Unterschied: Die als Nestling benachteiligten Vögel verbrachten bei gleichzeitig frei verfügbarer Nahrung mehr Zeit damit, auch nach verstecktem Futter zu suchen. Das gehört zum natürlichen Verhaltensrepertoir von Staren. Sie sammeln dadurch Informationen über alternative Orte von Nahrungsquellen, die sie in Hungerperioden nutzen könnten.

Die benachteiligten Vögel trafen gewissermaßen in größerem Umfang Vorsorge für schlechte Zeiten als die begünstigt aufgewachsenen Vögel. Eine nur zehntägige Periode unter ungünstigen Bedingungen während der Nestlingszeit reichte aus, um diese Veränderungen des Verhaltens erwachsener Vögel zu bewirken. „Unsere Ergebnisse könnten auch etwas über uns Menschen aussagen“, sagt Andrews. Menschen, deren Nahrungsversorgung in jungen Jahren nicht gesichert war, essen später oft übermäßig viel, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, und haben dann ein erhöhtes Risiko für Fettleibigkeit.

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