Evolutionsmotor Vogelhäuschen

Den Vögeln im Winter Futter zu geben, kann Zuggewohnheiten ändern und eine Art soweit aufspalten, dass zwar noch keine neue Art entsteht, aber bereits eindeutig unterschiedliche Merkmale zu erkennen sind
Männliche Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla)
Männliche Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla)
© Naumann, Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, Band II, Tafel 9, Gera
Freiburg - Im Winter die Vögel zu füttern, könnte evolutionäre Folgen haben - und das bereits innerhalb relativ kurzer Zeit. Hinweise darauf entdeckten Freiburger Biologen bei Mönchsgrasmücken. Während ein Teil der Singvögel im Winter nach Südwesten aufbricht und sich hauptsächlich von Früchten ernährt, fliegt eine andere Gruppe gen Nordwesten und frisst primär von freundlichen Menschen bereitgestelltes Futter. Obwohl die Tiere im Sommer in ein und denselben Wäldern leben, haben sich aus diesem unterschiedlichen Verhalten - die Fortpflanzung betreffend - zwei isolierte Gruppen entwickelt. Erste Folgen dessen zeigen sich in Form gezielter Anpassungen an die verschiedenen Gewohnheiten zum Überwintern bereits nach weniger als 30 Generationen, berichten die Forscher im Fachblatt "Current Biology". Zwar entstehen so schnell keine neuen Arten, wohl aber speziell angepasste so genannte Ökotypen, die ein erster Schritt auf dem Weg zu einer neuen Art sein können.

"Unsere Studie belegt den tiefgreifenden Einfluss menschlicher Aktivitäten auf die evolutionäre Bahn von Arten", erläutert Martin Schäfer von der Universität Freiburg. "Sie zeigt, dass wir nicht nur das Schicksal seltener und bedrohter Arten beeinflussen, sondern auch jenes ganz gewöhnlicher, die uns tagtäglich umgeben." Die Biologen beobachteten die Aufspaltung bei einer Population zentraleuropäischer Mönchsgrasmücken (Sylvia atricapilla). Sie folgte auf eine Aufteilung der Vögel in Südwest- und Nordwest-wandernde, nachdem sie im Winter zunehmend von Menschen gefüttert wurden. Die zwei so entstandenen Gruppen folgen dabei eindeutigen Routen: Die nach Norden ziehenden überwintern in Großbritannien und nehmen gerne das vom Menschen angebotene Futter an. Die nach Süden fliegenden bleiben im Winter in Spanien und ernähren sich eher von Früchten wie zum Beispiel Oliven.

Obwohl sie etwa das halbe Jahr über zusammen leben, sind die beiden Gruppen sogar stärker voneinander isoliert als manch andere Gruppen von Mönchsgrasmücken, zwischen denen hunderte von Kilometern liegen. Unter dem unterschiedlichen Selektionsdruck sind bereits nach weniger als 30 Generationen eindeutig unterschiedliche Anpassungen entstanden: Für die nach Nordwesten reisenden ist die zurückzulegende Strecke kürzer. Sie besitzen rundlichere Flügel, die zwar eine bessere Manövrierfähigkeit bieten, aber weniger gut geeignet für Langstreckenflüge sind. Außerdem unterscheiden sie sich in Farbe von Gefieder und Schnäbeln und ihre Schnäbel sind länger und schmäler und weniger darauf ausgerichtet, größere Früchte wie Oliven zu fressen. Ob sich aus diesen beiden Ökotypen tatsächlich neue Arten entwickeln, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar abzusehen. "Das ist ein nettes Beispiel für die Geschwindigkeit der Evolution", sagt Schäfer. "Es ist etwas, das wir mit unseren eigenen Augen sehen können, wenn wir nur genau genug hinsehen."

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "Report: Contemporary Evolution of Reproductive Isolation and Phenotypic Divergence in Sympatry along a Migratory Divide", Rolshausen et al.; Current Biology (Vol. 19, DOI 10.1016/j.cub.2009.10.061)


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg