Doch keine Kinderopfer bei den Karthagern
"Unsere Studie betont, dass Historiker alle Belege in Betracht ziehen müssen, wenn sie das Verhalten in antiken Gesellschaften entschlüsseln wollen", erklärt Jeffrey H. Schwartz von der University of Pittsburgh. "Die Idee einer regelmäßigen Kleinkindopferung in Karthago fußte bisher nicht auf der Analyse der sterblichen Reste, sondern auf Beispielen von Menschenopfern, wie sie von einigen frühen Chronisten berichtet wurden, die sich wiederum auf doppeldeutige karthagische Inschriften oder auf Stellen im Alten Testament beriefen. Unsere Ergebnisse hingegen zeigen, dass es wohl einige Opferungen von Kindern gab, aber es war nicht so, dass die Karthager regelmäßig ihre eigenen Kinder opferten."
Es gab in Karthago zwei Friedhöfe, darauf weisen Schwartz und seine Kollegen hin. Der eine war der normale Friedhof für Tote ab dem Jugendalter bis ins Erwachsenenalter. Der andere lag außerhalb der Stadt und war für kleine Kinder und junge Tiere bestimmt, er wurde "Tophet" genannt. Die Existenz des Tophet, besonders für Kleinstkinder und Tiere, ließ schon früh die Vermutung gedeihen, dass hier die geopferten Kinder lägen. Nun haben Schwartz und seine Kollegen 348 Urnen des Tophet untersucht, in denen sich noch die Knochenüberreste von 540 bestatteten Individuen befanden.
Dabei zeigte sich, dass ein Fünftel der bestatteten Individuen Totgeburten waren, die für eine Kinderopferung schon einmal gar nicht in Betracht kamen. Die lebend geborenen Kinder waren bei ihrem Tod kaum älter als fünf bis sechs Monate. Als Ursache für ihren Tod nehmen die Forscher Krankheiten im Säuglingsalter an, die damals noch nicht bekämpft werden konnten. Außerdem versuchten die Wissenschaftler das Geschlecht der Kinder zu ermitteln, da es zu dem Mythos der Kinderopferung in Karthago gehört, dass die Karthager angeblich ihre erstgeborenen Söhne opferten. Bei der Analyse des Geschlechts der bestatteten Babys zeigte sich, dass die meisten weiblich waren.
Die Wissenschaftler ziehen aus ihren Untersuchungen den Schluss, dass der Tophet ein Friedhof für Kleinstkinder war, ganz gleich, wie sie gestorben waren.