Unterschätzt: Mehr Todesopfer durch Schlangenbisse

Die meisten Betroffenen tauchen in gängigen Statistiken nicht auf, weil sie medizinische Einrichtungen gar nicht erst erreichen
Philadelphia (USA) - Weltweit sterben sehr viel mehr Menschen an Schlangenbissen als gedacht. Bisherige Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation gehen von bis zu 5 Millionen Schlangenbiss-Vorfällen aus, von denen 300.000 zu bleibenden Schäden führen und rund 100.000 zum Tode. Doch in Wirklichkeit sind es vermutlich weit mehr Tote, legen aktuelle Untersuchungen nahe. Denn die gängigen Statistiken erfassen den größten Teil der Opfer überhaupt nicht: Die Betroffenen suchen Ärzte oder Krankenhäuser entweder gar nicht erst auf oder erreichen sie nicht rechtzeitig, weil die Reise zu weit oder die Behandlung zu teuer ist. Vor allem in ländlichen Gegenden ärmerer Länder stellen Schlangenbisse ein deutlich unterschätztes Gesundheitsproblem dar und viele Überlebende leiden unter massiven Beeinträchtigungen nach dem Vorfall. Das war Thema eines Symposiums auf dem Jahrestreffen der "American Society of Tropical Medicine and Hygiene" in Philadelphia.

"Menschen sterben in ihren Dörfern, ohne das Gesundheitssystem zu 'belasten'", erläuterte Ulrich Kuch vom Forschungszentrum Biodiversität und Klima in Frankfurt. "Sie tauchen in den Statistiken einfach nicht auf." So ergab etwa eine Studie aus Bangladesch, dass sich nur drei Prozent der Behandelten unmittelbar nach dem Vorfall zu einem Arzt oder in ein Krankenhaus begaben. Dagegen suchten 86 Prozent zunächst traditionelle Hilfe, etwa bei einem Schlangenbeschwörer. Und auch bisherige Zahlen aus Bangladesch sind fraglich, denn aktuelle Untersuchungen kommen auf 700.000 Schlangenbisse und 6.000 Todesfälle im Jahr und liegen somit deutlich höher als bisherige Schätzungen. Eine Erhebung aus Indien zeigt ebenfalls, dass dortzulande weit mehr Menschen an Schlangenbissen sterben als die offizielle Zahl von jährlich 2.000 Todesopfern vermuten lassen könnte: rund 46.000. "Im 21. Jahrhundert sind Schlangenbisse die wohl am meisten vernachlässigte aller vernachlässigten tropischen Krankheiten", sagte David Warrell, ehemaliger Professor für Tropenmedizin an der britischen University of Oxford.

Doch auch mögliche Mittel im Kampf gegen fatale Folgen von Schlangenbissen erläuterten die Forscher auf dem Symposium. So arbeitet ein Programm im Südosten Nepals mit freiwilligen Motorradfahrern, die sich und ihr Fahrzeug für schnelle Notfalltransporte in entsprechende Behandlungszentren zur Verfügung stellen. Der innovative Ansatz zeigt Wirkung. Die Todesrate ging im Vergleich zu anderen untersuchten Gegenden von 10,5 auf 0,5 Prozent zurück. Die hilfreiche Idee soll auf weitere Regionen ausgeweitet werden.

Außerdem präsentierten Forscher vielversprechende Daten zu besseren und schnelleren Diagnosetests, mit deren Hilfe die Art der Vergiftung und das passende Gegengift rascher erkannt werden sollen. Bisher wartet man oft auf erste Symptome und entscheidet erst dann, weil das falsche Gegenmittel ernste Nebenwirkungen haben könnte. Dann ist es häufig aber schon zu spät, manche irreversiblen Schäden noch zu verhindern. Mithilfe der effektiven Tests, die auch in ländlicher Umgebung einfach einzusetzen sind, könnten Ärzte schnell und angemessen reagieren, bevor Patienten ernsthafte Schäden davon tragen oder gar sterben. Darüber hinaus ist die Entwicklung preiswerterer Gegengifte ein weiteres Ziel aktueller Forschung. Effektive Gegengifte sind bisher rar oder in manchen Teilen der Welt gar nicht vorhanden oder extrem teuer.

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Quelle: "Snakebite Envenomation: From Global Awareness to Best Practice Implementation", Symposium - American Society of Tropical Medicine and Hygiene 60th Annual Meeting


 

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