Sinnesverwirrung: Geradewegs im Kreis gelaufen

Ohne Sonne, Mond oder ähnliche Orientierungspunkte schaffen es Menschen kaum, sich geradeaus zu halten - sie laufen tatsächlich im Kreis
Tübingen - Keine fiktive Szene aus einem Hollywoodfilm, sondern Tatsache: Völlig ohne jeden optischen Orientierungspunkt in der Ferne laufen Menschen in unbekanntem Terrain in der Tat im Kreis. Fehlen äußere Hilfen zur Orientierung - etwa Sonne, Mond, ein Gebirge oder ein Turm - weichen sie unweigerlich von einem geraden Kurs ab, haben Tübinger Forscher in Experimenten nachgewiesen. Wohin man abweicht, ist dabei allerdings völlig unterschiedlich und in erster Linie wohl schlicht zufällig. Weder körperliche Merkmale wie Beinlängen oder -präferenzen noch Besonderheiten in der Hirnstruktur scheinen demnach einen Einfluss darauf zu nehmen, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt "Current Biology". Offenbar spielen demnach einfach sich anhäufende kleine Fehler der Sinneswahrnehmungen eine Rolle.

"Es ist tatsächlich wie im Film: Einige unserer Versuchsteilnehmer haben mehrmals ihren Pfad gekreuzt, ohne es zu merken. Sobald Bewölkung am Himmel aufzog und die Sonne verdeckte, beschrieben sie mitunter scharfe Kurven und wichen vom geraden Weg ab", sagt Jan Souman vom Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen. Souman und seine Kollegen hatten die Orientierungsfähigkeiten in einem Waldgebiet im Rheintal sowie in der Sahara in Tunesien auf die Probe gestellt. Mit einem GPS-Empfänger ausgestattet sollten die Probanden einfach so geradeaus laufen wie möglich. Das gelang ihnen allerdings nur dann, wenn Sonne oder Mond offen am Himmel standen. Wenn die Orientierungshilfe von Wolken verdeckt war, kamen sie von ihrem geraden Kurs ab und fingen an, im Kreis zu laufen.

In weiteren Experimenten gingen die Forscher möglichen Erklärungen des Phänomens auf den Grund. Sie baten Freiwillige, mit verbundenen Augen geradeaus zu laufen, was diesen allerdings ohne die optischen Eindrücke kaum gelang. Sie wichen von der geraden Linie immer wieder ab, liefen enge Kreise - mitunter mit weniger als 20 Metern Durchmesser - entfernten sich nicht weiter als 100 Meter vom Startpunkt. "Fast jeder der Probanden lief aber manchmal links, manchmal rechts herum. Sie wichen also nicht immer in derselben Richtung vom geraden Weg ab. Fehlerhafte Informationen aus den Sinnesorganen summieren sich auf. Dadurch können die beobachteten Kreisbahnen entstehen", erklärt Jan Souman. "Wir können den Sinneseindrücken aus Augen, Ohren und Gleichgewichtsorganen nicht bedingungslos vertrauen. Vielmehr nutzen wir zusätzliche äußere Orientierungshilfen, wie zum Beispiel Berge, Sonne oder Gebäude, mit denen unsere Wahrnehmung abgeglichen und gegebenenfalls korrigiert wird."

Die Richtungsinformationen aus den Sinnesorganen sind ungenau, schließen die Forscher aus diesen Beobachtungen. Bisherige Annahmen führten das Laufen im Kreis ohne Orientierung etwa auf Unterschiede zwischen den beiden Hirnhälften oder auf unterschiedlich lange oder kräftige Beine zurück. Diese Vermutung konnten die Tübinger Forscher mit ihrem Versuch widerlegen.

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "Report: Walking Straight into Circles", Ernst et al.; Current Biology (Vol. 19, DOI 10.1016/j.cub.2009.07.053)


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg