Orcas sind echte Muttersöhnchen

Die Walmännchen hängen ein Leben lang am Rockzipfel der Mutter – wenn sie stirbt, sinken auch ihre eigenen Überlebenschancen drastisch
Orcamännchen lassen sich von den Weibchen leicht durch ihre deutlich größere Rückenflosse unterscheiden.
Orcamännchen lassen sich von den Weibchen leicht durch ihre deutlich größere Rückenflosse unterscheiden.
© David Ellifrit, Centre for Whale Research
Exeter (Großbritannien) - Hotel Mama kommt nicht nur bei Menschen vor. Orca-Männchen bleiben noch als Erwachsene unter Muttis schützenden Fittichen. Dabei sind sie offenbar hochgradig abhängig von der Mutter: Wenn sie stirbt, vervielfacht sich das Risiko der Söhne, im folgenden Jahr ebenfalls zu sterben. Dieser Effekt ist umso drastischer, je älter die Männchen sind, hat ein internationales Team von Biologen bei den Walen beobachtet. Wie die Forscher in „Science“ berichten, könnten die Ergebnisse ihrer Studie erklären, warum Orca-Weibchen noch sehr alt werden, obwohl sie bereits längst ihre Menopause erreicht haben und somit nicht länger fortpflanzungsfähig sind. Die Mütter bleiben ihr Leben lang bei ihren Söhnen. So erhöhen sie deren Lebensspanne, damit auch deren Fortpflanzungserfolg und indirekt ebenso den eigenen.

„Unsere Analyse zeigt, dass männliche Orcas ziemliche Muttersöhnchen sind und ohne die Hilfe der Mutter ums Überleben kämpfen“, sagt Dan Franks von der University of York, Co-Autor der Studie. „Dass sich die Mütter um ihre Söhne bis weit ins Erwachsenenalter kümmern müssen, erklärt, warum Orcas die längste post-reproduktive Lebensspanne von allen Tieren außer dem Menschen entwickelt haben.“ Die Biologen hatten zwischen 1974 und 2010 gesammelte Daten von zwei Orca-Populationen in den Küstengewässern des Nordpazifiks vor den USA und Kanada analysiert. Sie legten ihr Augenmerk dabei darauf, wie sich der Tod einer Mutter auf das Überleben ihres Nachwuchses auswirkte. Von den 589 individuell identifizierten Tieren starben in diesem Zeitraum von 36 Jahren 297 Wale.

Bei den Söhnen beobachteten die Biologen erstaunlicherweise mit zunehmendem Alter eine zunehmende Abhängigkeit von der Mutter: Im Jahr nach dem Tod der Mutter stieg das Sterberisiko von Orca-Männchen, die jünger waren als 30, um das Dreifache, bei älteren Männchen sogar um das Achtfache. Noch eklatanter verhielt es sich, wenn die Mutter bereits in ihrem letzten Lebensabschnitt war, in dem sie sich nicht mehr selbst paarte. Dann war das Sterberisiko älterer Söhne im Folgejahr sogar um das knapp 14-fache erhöht. Je älter die Männchen waren, umso stärker erhöhte sich also ihre Wahrscheinlichkeit, selbst zu sterben.

Töchter waren dagegen weniger abhängig von der Mutter. Die Biologen vermuten, dass dies der besonderen Sozialstruktur der Meeressäger zuzuschreiben ist. Die Töchter bleiben ebenso wie die Söhne in der eigenen Gruppe. Daher wächst auch ihr Nachwuchs in dieser Population auf und tritt somit in Konkurrenz um deren Ressourcen. Indem die Mütter ihre Söhne besonders unterstützen, investieren sie in deren und damit indirekt in den eigenen Fortpflanzungerfolg, ohne aber die Ressourcen der eigenen Gruppe zu strapazieren. Dies ist insbesondere deshalb von zentraler Bedeutung, weil der Fortpflanzungserfolg der Söhne mit dem Alter zunimmt.

Der Orca (Orcinus orca), auch Schwertwal genannt, hat ebenso wie der Mensch eine ungewöhnlich lange Menopause. Die Weibchen sind bis zu einem Alter von etwa 30 bis 40 Jahren in der Lage, sich fortzupflanzen, können aber mehr als 90 Jahre alt werden. „Während man annimmt, dass die Menopause sich beim Menschen zum Teil deshalb entwickelt hat, damit Frauen sich auf die Unterstützung ihrer Enkelkinder konzentrieren können, scheint es, dass weibliche Orcas als lebenslange Versorger ihres eigenen Nachwuchses agieren“, sagt Studienleiter Darren Croft von der University of Exeter. „Es ist einfach unfassbar, dass die Söhne das ganze Leben an ihren Müttern kleben.“

Erstautorin Emma Foster von der University of Exeter fügt hinzu: „Orcas sind außerordentliche Tiere und ihre sozialen Gruppen sind ungewöhnlich darin, dass Mütter und Söhne lebenslange Gefährten sind. Unsere Forschung legt nahe, dass sie die längste Menopause von allen nicht-menschlichen Spezies entwickelt haben, damit sie ihrem älteren Nachwuchs dieses Maß an Hingabe bieten können.“ Auf welche Art und Weise genau die Mütter das Leben ihrer Söhne stützen, wissen die Forscher bislang nicht. Sie halten für wahrscheinlich, dass sie zum Beispiel bei der Futtersuche und in Gefahrensituationen helfen. Dies hoffen sie, in künftigen Studien klären zu können.

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