Harnwegsinfektion: Wie die Bakterien sich vor Antibiotika schützen

Erreger von wiederkehrenden Harnwegsinfektionen können sich während einer antibiotischen Behandlung in resistente, zellwandlose L-Formen umwandeln
E.coli-Bakterien wandeln sich von der natürlichen Stäbchenform in kugelige und unregelmäßig geformte zellwandlose L-Formen um.
E.coli-Bakterien wandeln sich von der natürlichen Stäbchenform in kugelige und unregelmäßig geformte zellwandlose L-Formen um.
© Newcastle University, UK
Newcastle upon Tyne (Großbritannien) - Viele ältere Frauen leiden trotz antibiotischer Therapie unter häufig wiederkehrenden Harnwegsinfektionen. Das wird damit erklärt, dass ein Teil der Erreger während der Behandlung in einen Ruhezustand übergeht oder eine veränderte Form annimmt, wodurch die Bakterien vor Antibiotika geschützt sind. Wie britische Forscher jetzt nachgewiesen haben, verlieren E. coli-Bakterien – die häufigsten Erreger dieser Infektion – in Gegenwart bestimmter Antibiotika ihre Zellwand und können als so genannte L-Formen überleben. Das geschieht nur bei solchen Antibiotika, deren Wirkprinzip darauf beruht, die Bildung der bakteriellen Zellwand zu hemmen. Wird das Medikament abgesetzt, entwickeln sich wieder Bakterien mit Zellwänden und verursachen eine erneute Infektion, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature Communications“. Demnach wäre bei wiederkehrenden Harnwegsinfektionen eine Kombinationstherapie zu empfehlen, wobei eines der Antibiotika nicht gegen die Bakterienzellwand gerichtet ist.

„Der Körper kann die Bakterien in der zellwandlosen L-Form nicht so leicht erkennen und daher auch nicht angreifen – ebenso wenig können das die Antibiotika“, sagt Katarzyna Mickiewicz von der Newcastle University. Antibiotika aus der Gruppe der Penicilline wie zum Beispiel Amoxicillin und andere Antibiotika wie Fosfomycin töten Bakterien ab, indem sie den Aufbau der Zellwand bei der Zellteilung blockieren. Es war bekannt, dass Bakterien unter dem Einfluss dieser Medikamente lebensfähige zellwandlose Formen bilden können. Wenn diese Umwandlung für wiederkehrende Harnwegsinfektionen von klinischer Bedeutung sein sollte, müssten L-Formen im Urin oder in der Blasenwand überleben und sich wieder in die Ausgangsform zurückbilden können.

Über einen Zeitraum von sechs Monaten untersuchten die Forscher Urinproben von 30 älteren Frauen, die an wiederkehrenden Harnwegsinfektionen litten. Im frischen Urin von 29 Patientinnen und in 46 Prozent sämtlicher 360 Proben ließen sich im Mikroskop kugelige und unregelmäßig geformte zellwandlose Bakterien nachweisen. Diese bildeten Kolonien auf halbfesten Nährmedien, sofern die Konzentration osmotisch wirksamer Teilchen ausreichte, um ein Platzen der L-Formen zu verhindern. Die Forscher schätzen deren Gehalt im Urin auf 100 bis 10.000 Bakterien pro Milliliter. Die Identifizierung der isolierten Bakterienstämme ergab in 61 Prozent der Fälle E. coli, die übrigen waren hauptsächlich Enterokokken sowie Klebsiella- und Proteusarten.

Einen direkten Nachweis der Umwandlung in L-Formen lieferten mikroskopische Zeitrafferaufnahmen. Demnach nahmen Kulturen von E. coli-Bakterien einer Patientin innerhalb von drei Stunden nach Zugabe von Fosfomycin L-Formen an, die sich auch vermehrten. Umgekehrt wandelten sich L-Formen bei Abwesenheit des Antibiotikums nach wenigen Stunden in die typische, durch die Zellwand festgelegte Stäbchenform um. Nicht nur in der Nährlösung, auch im Urin erwiesen sich L-Formen als lebensfähig. Der vorübergehende Verlust der Zellwand bringt den Erregern wahrscheinlich einen zusätzlichen Vorteil: Sie entgehen dadurch auch dem Angriff von Immunzellen, da diese die Bakterien an Strukturen ihrer Zellwand erkennen.

Die Ergebnisse zeigen, dass Bakterien auch ohne Resistenzgene gegen Antibiotika resistent werden können, schreiben die Autoren. Der Wechsel zwischen Normal- und L-Form, sagt Mickiewicz, könnte eine der Hauptursachen für wiederkehrende Harnwegsinfektionen sein. Für eine erfolgreiche Behandlung müssten daher Antibiotika eingesetzt werden, die auch gegen L-Formen wirksam sind, also nicht auf die Zellwand, sondern zum Beispiel auf die Zellmembran abzielen. Ob der beschriebene Mechanismus auch für andere wiederkehrende oder chronische Infektionen von Bedeutung ist, müssen weitere Untersuchungen klären.

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