Fallstudie: Extrem-Frühchen können sich ganz normal entwickeln

Weibliches Geschlecht und eine weiter fortgeschrittene Schwangerschaft verbessern Aussichten trotz geringen Geburtsgewichts
Maywood (USA) - Zwei der kleinsten jemals geborenen und überlebenden Frühchen entwickeln sich sowohl körperlich als auch geistig erfreulich gesund. Die beiden Mädchen, die bei der Geburt vor 7 und 22 Jahren nicht einmal 300 Gramm wogen, sind heute für ihr Alter ausgesprochen klein und zierlich. Dennoch zeigen sie eine annähernd bis völlig normale Entwicklung in Motorik und Sprache, das berichten US-Mediziner der Geburtsklinik im Fachblatt "Pediatrics". Sie hatten die zwei Extrem-Frühchen im Rahmen ihrer Langzeit-Fallstudie zuletzt vor zwei Jahren untersucht. Trotz der positiven Ergebnisse warnen die Forscher ausdrücklich vor Verallgemeinerung: Solch gute Verläufe sind keineswegs typisch. Beide Mädchen hatten mit später Schwangerschaftswoche und anderen Faktoren gute Voraussetzungen. Viele andere Frühchen mit extrem niedrigem Geburtsgewicht überleben hingegen nicht oder tragen schwerste Behinderungen davon, die sie ein Leben lang beeinträchtigen - zum Beispiel Blindheit, Taubheit oder massive Bewegungsstörungen durch eine frühkindliche Hirnschädigung.

Die 1989 geborene Madeline Mann wog bei ihrer Geburt gerade einmal 280 Gramm, die 2004 geborene Rumaisa Rahmam sogar nur 260 Gramm und ist damit das bisher kleinste überlebende Frühgeborene. Beide mussten die ersten vier bis fünf Monate ihres Lebens auf der Intensivstation verbringen, haben aber mittlerweile die Entwicklungsdefizite weitgehend aufgeholt. Rumaisa ist zwar stark kurzsichtig und ihre motorische Entwicklung leicht verzögert. Doch sie ist gesund und besuchte zum Zeitpunkt der Erhebung der Mediziner einen Kindergarten mit individuellem Erziehungsplan, mittlerweile die erste Klasse. Die ältere Madeline studiert heute am College. "Fortschritte in der Neugeborenen-Versorgung erlauben die Wiederbelebung und das Überleben immer kleinerer und kleinerer Neugeborener", schreiben Jonathan Muraskas vom Loyola University Medical Center und seine Kollegen. "Komplexe Faktoren beeinflussen die Entscheidung, ein Neugeborenes mit extrem niedrigem Geburtsgewicht wiederzubeleben." Es könne allerdings falsche Hoffungen wecken, andere Extrem-Frühchen direkt mit Madeline und Rumaisa zu vergleichen, betonen die Ärzte.

Die beiden Mädchen hatten einige Vorteile, die zu ihren guten Entwicklungsverläufen beigetragen haben könnten: So haben weibliche Frühchen tendenziell bessere Aussichten als männliche. Beide kamen zwar aufgrund einer Unterversorgung im Mutterleib mit einem sehr geringem Geburtsgewicht zur Welt, welches die sich normal entwickelnden Föten bereits mit 18 Wochen erreicht haben. Mit 25 und 28 Schwangerschaftswochen zum Zeitpunkt der Geburt waren Madeline und Rumaisa allerdings schon relativ reif für das geringe Gewicht, was ein entscheidender Punkt ist. Außerdem wurden beide Mütter mit Steroiden behandelt, was die Reifung von Lunge und Gehirn der Ungeborenen unterstützte. Die Mediziner schlagen vor, dass beim Einschätzen der Lebensfähigkeit von Frühchen diese drei kritischen Faktoren - Schwangerschaftswoche, weibliches Geschlecht und eine Steroidbehandlung vor der Geburt - bedacht werden sollten.

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Quelle: "Long-term Follow-up of 2 Newborns With a Combined Birth Weight of 540 Grams", Jonathan K. Muraskas et al.; Pediatrics, doi/10.1542/peds.2010-0039


 

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