Das Geheimnis der kletternden Gurken

Die Ranken von Gurkenpflanzen und verwandten Kletterern sind Spiralfedern mit ganz unerwartetem Verhalten – ihr jetzt entschlüsselter Aufbau verspricht neue technische Lösungen
Eine intakte Gurkenranke (oben) verdreht sich in derselben Weise wie das extrahierte Zellfaserband allein (unten).
Eine intakte Gurkenranke (oben) verdreht sich in derselben Weise wie das extrahierte Zellfaserband allein (unten).
© Joshua Puzey & Sharon Gerbode
Cambridge (USA) - Wenn Gurkenpflanzen in die Höhe streben, bilden sie Ranken mit einem so raffinierten Aufbau, dass sie als Vorbild für neuartige technische Federn dienen können. Die Seitensprosse der Gurke funktionieren anders als normale Spiralfedern: Bei starkem Zug werden sie nicht länger, sondern drehen sich umso enger zusammen. Das Geheimnis liegt in der ungleichen Festigkeit der Rankenzellen, berichten US-Forscher, die dem Pflanzentrick auf die Spur gingen. Nach zahlreichen Rechenmodellen und Laborexperimenten konnten sie tatsächlich eine künstliche Ranke bauen, die dasselbe unerwartete Verhalten zeigt. Ziel war dabei, den biologisch-physikalischen Trick der Natur zu verstehen, berichten sie im Fachblatt „Science“. Doch nun ist auch eine neuartige Spiralfeder denkbar, die bei leichtem Zug weich ist und sich bei starkem Zug verhärtet.

„Wie verdrillt sich die Gurkenpflanze? Was für eine einfache Frage! Und dann fanden wir diese neue Art von Feder, die bisher niemand beschrieben hatte“, berichtet die Physikerin Sharon Gerbode, damals an der Harvard University, heute am Harvey Mudd College. Gemeinsam mit Mathematikern und Biologen untersuchte sie das ungewöhnliche Verhalten, das Gurken und verwandte Kletterpflanzen an den Tag legen. Zunächst wächst dort ein neuer Ausläufer gerade nach oben, bis er Halt findet und sich um Ast, Vorsprung oder Rankgitter winden. Dann zieht sich der lange Strang spiralförmig zusammen – mit einer linksdrehenden und einer rechtsdrehenden Spirale, die in der Mitte „umspringt“ – und hebt so den Rest der Pflanze gegen die Schwerkraft weiter nach oben. Auf plötzlichen Zug verdrillt sich die Ranke nur noch mehr. Erst wenn sie kontinuierlich und kräftig weiter gezogen wird, entrollt sie sich doch wieder, wie andere Spiralen auch.

Das Geheimnis liegt in der asymmetrischen Verteilung spezieller Zellen in der Ranke: Wie ein dünnes Band ziehen sie sich über die ganze Länge des Ausläufers und verhärten sich nach dem Haltfassen der Ranke. Weil das nur auf einer Seite geschieht, verdrillt sie sich. Gerbode und Kollegen konnten dieses Zellband extrahieren und untersuchen. Im Labor bauten sie die Konstruktion nach, indem sie ein lang gezogenes Silikongummi-Band an einer Kante mit einem Streifen Silikonkitt belegten. Wie erwartet drehte es sich zum typischen Spiralenpaar, sobald die Zugspannung nachließ. Doch dieses einfache Modell kehrte auf Zug auch ebenso einfach wieder in die Bandform zurück, statt sich zu versteifen und weiter zu verdrillen. Ein „Überdrehen“ kann nur geschehen, so vermuteten die Forscher, wenn für das verhärtete Spiralband das weitere Verdrehen um die Mittelachse mechanisch weniger aufwendig als das Entdrehen. Wichtig ist dabei, dass die Spirale nicht über ihre ganze Länge dieselbe Drehrichtung besitzt, sondern an einer Stelle von linksdrehend auf rechtsdrehend umspringt. Schon Darwin hatte diese Stelle benannt, als „Verkehrung“ oder „Perversion“.

Gerbodes Team passte das Labormodell an: Der Silikonstreifen bekam an der Innenseite ein steifes Gewebeband, um das Auseinanderziehen zu verhindern, und an der Außenseite einen Kupferdraht gegen das Zusammenziehen. Tatsächlich verhielt sich dieses Modell dann wie das natürliche Vorbild: Auf plötzlichen Zug verdrillte es sich weiter. Die Mathematiker im Team konnten dann die nötigen Parameter analysieren und das Prinzip für künftige Spiralfedern festklopfen. Die Biologen schließlich untersuchten die natürlichen Zusammenhänge: An den aus Ranken herausgezogenen Zellbändern zeigte sich, dass das Versteifen mit abnehmender Feuchtigkeit zu tun hat und mit Lignin, das auch bei Bäumen für das Verhärten der Zellwände sorgt. Auch waren die natürlichen Spiralen mit zunehmendem Alter steifer, was Theorie und Computersimulation untermauerten. Eine permanente Verhärtung wie bei Holz, so die Forscher, scheint aber im Lauf der Evolution nicht sinnvoll gewesen zu sein: „Die Pflanze braucht eine schöne, starke, sichere Verbindung, aber auch ein wenig Flexibilität, damit sie nicht bricht, wenn der Wind bläst oder Tiere vorbeistreifen“, sagt Gerbode. „Das Überdrehen erlaubt der Pflanze, kleine Bewegungen einfach auszugleichen, doch wenn etwas wirklich Ernstes geschieht, kann sie sehr steif werden und sich schützen.“

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