Blind für Gewalt

Hohe Konzentration lässt manchen sogar eine lautstarke Auseinandersetzung übersehen
Champaign (USA) - Wer sich stark aufs Beobachten konzentriert und womöglich noch außer Atem ist, bemerkt bisweilen nicht einmal eine laute Schlägerei. Das ist das überraschende Ergebnis einer US-Studie, die das Phänomen der "Unaufmerksamkeitsblindheit" untersuchte - die Blindheit für Dinge, auf die man sich gerade nicht konzentriert. Manche Menschen übersehen dann auch scheinbar Offensichtliches, obwohl sie sich selbst für aufmerksam halten. Mit der Untersuchung stützen die Forscher die Aussage eines Polizisten, der 1995 die nahe, brutale Prügelei eines Kollegen nicht bemerkt haben wollte und wegen Meineids verurteilt worden war. Allerdings müssen bei den meisten Menschen schon einige Ablenkungsfaktoren zusammenkommen, um lautstarke Händel nicht zu bemerken, berichten die Forscher im Fachblatt "i-Perception" (Online-Veröffentlichung).

"Eines der Kennzeichnen von Unaufmerksamkeitsblindheit ist: Wenn man die Anforderungen an die Aufmerksamkeit eines Menschen steigert, sinkt die Wahrscheinlichkeit, mit der er oder sie etwas Unerwartetes wahrnimmt", sagt Christopher Chabris, Psychologieprofessor am Union College im Staat New York. Gemeinsam mit seinem Kollegen Daniel Simons von der University of Illinois hatte er die Wahrnehmungsfähigkeit unter erschwerten Umständen getestet. Ähnlich wie der Bostoner Polizist, der damals einem möglicherweise bewaffneten Verdächtigen hinterher gerannt war, mussten auch die Freiwilligen im Test einem der Forscher in zehn Metern Entfernung schnell über den Universitätscampus folgen. Dabei sollten sie zählen, wie oft der Forscher seinen Kopf berührte. Die Strecke führte in acht Metern Entfernung auch an einer gestellten Prügelei vorbei, bei der sich drei Studenten einander schlugen, traten und anbrüllten. Einer der Tests lief bei Nacht, wie im Falle des Polizisten, einer bei Tageslicht. Einige der Teilnehmer sollten zudem getrennt zählen, wie oft der Vorauslaufende mit seiner linken oder rechten Hand an den Kopf fasste.

Zwtl: Je komplizierter die Aufgabe, desto blinder für die Umgebung

Das Ergebnis macht die damalige Aussage des Polizisten plausibel, erläutert Simons: "Bei Nacht bemerkte nur rund ein Drittel der Menschen den Kampf. Am Tag übersahen ihn immer noch mehr als 40 Prozent." Wer zudem noch darauf achten musste, welche Hand jeweils den Kopf berührte, ergänzt Chabris, bemerkte den Kampf mit jeweils noch geringerer Wahrscheinlichkeit. Diese Studie variiert das mittlerweile berühmte "Gorilla-Experiment" der beiden Forscher: Dabei hatten sie vor einigen Jahren nachgewiesen, dass Menschen unterschiedlich aufmerksam sind für Dinge außerhalb ihres aktuellen Fokus. Damals sollten die Probanden in einem Video von Basketballspielern die Ballwechsel der weiß gekleideten Mannschaft zählen - und bemerkten oft nicht, dass ein als schwarzer Gorilla verkleideter Mensch langsam durch den Hintergrund lief und sich demonstrativ auf die Brust klopfte. Dabei waren sie auf Nachfrage überzeugt, dass ihnen ungewöhnlich Dinge wie ein Gorilla auf jeden Fall auffallen würden.

Zusätzlich zur geistigen Ablenkung kann offenbar körperliche Anstrengung die Aufmerksamkeit und kognitive Verarbeitungsleistung des Hirns noch weiter senken, sagt Chabris: "Wenn man bei 140 Herzschlägen pro Minute etwas tut, ist es anders, als wenn man es bei einer Herzfrequenz von 60 tut. Der Polizist verfolgte einen Mordverdächtigen, überkletterte einen Zaun und beobachtete den Verdächtigen vermutlich, um zu sehen, ob er eine Waffe hatte oder unterwegs irgendetwas fallen ließ." Zwar könne der Psychologe nicht sicher sagen, ob der Mann den Kampf nun tatsächlich nicht wahrgenommen hatte und log. Doch zeige die Studie, dass man selbst unter weniger fordernden Bedingungen etwas so Offensichtliches wie eine laute Prügelei übersehen kann.

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "You Do Not Talk About Fight Club if You Do Not Notice Fight Club: Inattentional Blindness for a Simulated Real-World Assault", C. Chabris & D. Simons; i-Perception, aktuelle Ausgabe


 

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