Beta-Amyloid: Zerstörerisch bei Alzheimer – Hilfreich bei Multipler Sklerose?

Forscher entdecken überraschende Verbindung zwischen zwei neurodegenerativen Erkrankungen, die von therapeutischer Bedeutung sein könnte
Modell eines Beta-Amyloid-Moleküls (Aβ42)
Modell eines Beta-Amyloid-Moleküls (Aβ42)
© O. Crescenzi et al., Protein Data Bank (gemeinfrei)
Stanford (USA) - Der Eiweißstoff Beta-Amyloid bewirkt das Absterben von Hirnzellen bei der Alzheimer-Demenz. Doch jetzt haben amerikanische Mediziner einen indirekten, schützenden Effekt derselben Moleküle auf Hirnzellen bei Multipler Sklerose (MS) nachgewiesen. Die Peptide wirken entzündungshemmend auf das Immunsystem und können so bei Mäusen die Entwicklung von MS-Symptomen verhindern. Die Injektion von Beta-Amyloiden in den Bauchraum bereits erkrankter Tiere machte in einigen Fällen sogar Lähmungen wieder rückgängig, berichten die Forscher im Fachjournal „Science Translational Medicine“. Die genaue Aufklärung des unerwarteten Zusammenhangs könnte helfen, Therapien für die Autoimmunkrankheit zu entwickeln.

„Wir haben erstmals gezeigt, dass Beta-Amyloide entzündungshemmende Eigenschaften haben“, sagt Lawrence Steinman, Leiter des Forscherteams von der Stanford University. Die aus 40 oder 42 Aminosäuren aufgebauten Peptide stehen im Zentrum der Alzheimerforschung, da sie Nervenzellen schädigen und die krankheitstypischen Plaques im Gehirn der Patienten verursachen. Aus früheren Untersuchungen war bekannt, dass sich Beta-Amyloide auch bei Multipler Sklerose in geschädigten Hirnregionen ansammeln. Ursache dieser Krankheit sind fehlgesteuerte Immunzellen, die die isolierende Hülle um die Fortsätze der Nervenzellen angreifen und dadurch die Signalübertragung stören. Zu den typischen, meist in Schüben auftretenden Symptomen zählen Seh- und Empfindungsstörungen sowie Lähmungserscheinungen.

Die Forscher arbeiteten mit Mäusen, bei denen eine MS-ähnliche Autoimmunkrankheit erzeugt wurde. Sie untersuchten, welche Wirkung eine Injektion von Beta-Amyloiden in den Bauchraum auf die MS-Symptome hat. Entgegen ihrer Erwartungen verschlimmerte sich durch die Behandlung die Krankheit nicht. Ganz im Gegenteil: Der Ausbruch der Bewegungsstörungen verzögerte sich oder blieb ganz aus und das Ausmaß an MS-typischen Schäden in Hirn und Rückenmark nahm ab. Waren bereits Lähmungen eingetreten, besserten sich die Symptome schon nach kurzer Zeit. Die verabreichten Peptide drangen offenbar kaum in das Gehirn ein – zumindest ließen sich dort keine Ablagerungen nachweisen. Ihre Wirkung entfalteten sie, indem sie Reaktionen des Immunsystems beeinflussten. So veränderte sich das Spektrum der gebildeten Immunzelltypen und es wurden weniger entzündungsfördernde Botenstoffe produziert.

Den Schutzeffekt der Beta-Amyloide bestätigte ein weiteres Experiment. Bei genetisch veränderten Mäusen, die die Peptide nicht mehr bilden konnten, nahm die MS einen besonders schweren Verlauf, der schneller und häufiger zum Tod führte. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Therapie der MS denkbar wäre, die nicht im Gehirn ansetzt, sondern indirekt über das Immunsystem wirkt. Ob dazu aber Beta-Amyloide eingesetzt werden können, ist zweifelhaft. Dazu wäre es zuvor unbedingt nötig, deren Wirkmechanismus genau zu verstehen, schreiben Reinhard Hohlfeld von der Universität München und Hartmut Wekerle vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried in einem begleitenden Kommentar. Vor allem müsse die Gefahr ausgeschlossen werden, dass eine solche Behandlung eine Alzheimer-Demenz auslöst oder eine Hirnhautentzündung verursacht. Bisher ist die normale Funktion der Beta-Amyloide im gesunden Körper noch immer nicht geklärt.

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