Predigtfragment von Meister Eckhart identifiziert
Das Fragment befand sich in der Forschungs- und Lehrsammlung des 1802 gegründeten Diplomatischen Apparates der Universität Göttingen, wo die Handschriftenforscherin Gisela Kornrumpf das Dokument fand. In diesem Diplomatischen Apparat liegen mehr als tausend Urkunden, Handschriften, Fragmente und Siegel. Wie und wann das Bruchstück aus der Predigt Meister Eckharts nach Göttingen gelangte, ist noch nicht zweifelsfrei geklärt. Immerhin kümmerte sich Eckhart als Vikar des Dominikanerordens in Thüringen ab 1296 auch um den Göttinger Konvent.
Das Fragment enthält die ersten zwei Drittel der deutschsprachigen Predigt zum ersten Johannes-Brief (1 Joh. 4,9). Laut Meister Eckhart veredelt die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus das gesamte Menschengeschlecht. Diese Veredelung muss sich in einem reinen Herzen und in der Gleichrangigkeit von Gottes Freunden und ihm Fernstehenden widerspiegeln. Der Prediger fordert seine Zuhörer auf, ihren Willen aufzugeben und gelassen zu sein. Sie sollten Werke 'ohne Warum' vollbringen - "sunder warumme", wie es im Göttinger Text heißt.
Bekannt geworden ist Meister Eckhart unter anderem durch seine radikalen Auffassungen zur geistlichen und geistigen Armut. Äußerliche Frömmigkeitsrituale als Beweis für geistige Armut lehnte Eckhart ab. Man sollte wirklich von sich selbst ganz absehen, dann würde sich Gott einem besonders zuwenden. Dann würde einem das Göttliche offenbar werden. Das war nicht ganz das, was die Kirche von ihrem Dominikanerprediger hören wollte. In den Augen mancher Kirchenfürsten war er brandgefährlich. Auf Betreiben des Kölner Erzbischofs wurde 1326 das Inquisitionsverfahren gegen ihn eröffnet. 1329 wurde er als Ketzer verurteilt, was er allerdings nicht mehr erleben musste, da er ein Jahr zuvor gestorben war.