Narwale: Langer Stoßzahn macht Männchen attraktiv

Das auffällige körperliche Merkmal der „Einhörner des Meeres“ hat sich durch sexuelle Selektion entwickelt und könnte sowohl als optisches Signal als auch als Waffe beim Kampf mit Rivalen dienen
Narwale leben in Familienverbänden von einem Männchen (links, mit Stoßzahn), mehreren Weibchen und Jungtieren.
Narwale leben in Familienverbänden von einem Männchen (links, mit Stoßzahn), mehreren Weibchen und Jungtieren.
© Zack Graham, Arizona State University
Tempe (USA) - Die biologische Funktion des bis zu drei Meter langen einzelnen Stoßzahns männlicher Narwale ist umstritten. Diskutiert wird die Verwendung bei der Jagd auf Fische, beim Kampf mit Rivalen, als Sinnesorgan oder als attraktives Merkmal bei der Partnersuche. Zur Klärung dieser Frage haben jetzt Biologen aus den USA, Grönland und Brasilien eine umfangreiche Sammlung von Messdaten körperlicher Merkmale dieser Tiere ausgewertet. Demnach handelt es sich bei dem Stoßzahn um einen Körperteil, der sich durch sexuelle Selektion entwickelt hat und der den Männchen in der Auseinandersetzung mit Rivalen als Signal und Waffe dient, berichten die Forscher im Fachblatt „Biology Letters“. Zusätzliche, vom Sexualverhalten unabhängige Funktionen des Stoßzahns seien aber nicht auszuschließen.

„Die Information, die der Stoßzahn vermittelt, ist einfach: ‚Ich bin größer als du‘“, sagt Zackary Graham von der Arizona State University in Tempe. Das einzigartige Merkmal, das nicht nur, aber hauptsächlich bei den Männchen vorkommt, entsteht aus einem Eckzahn, der schraubig gewunden nach vorn wächst. Da Narwale meist versteckt unter dem arktischen Eis leben, ist über ihr Verhalten, und wie sie ihren Stoßzahn einsetzen, nur wenig bekannt. Daher gingen Graham und seine Kollegen auf indirektem Weg der Frage nach, ob der Stoßzahn durch sexuelle Selektion entstanden ist oder nicht. Während die natürliche Selektion Individuen aufgrund ihrer biologischen Fitness begünstigt, führt die sexuelle Selektion zur Entwicklung sekundärer Geschlechtsmerkmale, die mit einem Vorteil bei der Partnersuche verbunden sind. Beispiele dafür sind das Geweih des Hirsches oder das prachtvolle Gefieder vieler Vögel.

Aus den Daten von 245 erwachsenen männlichen Narwalen ermittelten die Forscher, wie sich in Abhängigkeit von der Körpergröße die Länge des Stoßzahns verändert. Als Kontrolle diente die Breite der Schwanzflosse, eines Merkmals, das sicherlich nicht der sexuellen Selektion unterliegt. Zwar nahmen sowohl die Zahnlängen als auch die Flossenbreiten mit zunehmender Körperlänge zu. Doch im Vergleich zu den Messwerten der Schwanzflosse zeigte der Stoßzahn ein überproportional stärkeres Wachstum mit deutlich größeren Schwankungen bei gleich großen Tieren. Eine derartige Beziehung sei typisch für ein Merkmal, das der sexuellen Selektion unterliegt, sagt Graham. Solche Merkmale werden, stärker als andere, durch individuelle Eigenschaften wie Ernährung oder körperliche Kondition beeinflusst. Während die Flossenbreiten nur zwischen 0,45 und 0,90 Meter variierten, lagen die Werte für die Zahnlängen zwischen 0,45 und 2,50 Meter. Nur die größten und stärksten Männchen könnten genügend Energie aufbringen, um einen extrem langen Stoßzahn zu entwickeln. Dessen Ausmaß wäre daher ein „ehrliches“ Signal, das die biologische Überlegenheit eines Männchens anzeigt.

Einzelne Berichte über Kopfverletzungen, abgebrochene Stoßzähne und Zähne, die sich in den Körper männlicher Tiere eingebohrt hatten, deuten darauf hin, dass die Stoßzähne nicht nur als optisches Signal wirken, sondern auch im Kampf mit Rivalen als Waffe eingesetzt werden. Die Forscher hoffen, dass zukünftige Beobachtungen mit Hilfe von Drohnen genauere Erkenntnisse über das Leben der Narwale und die Funktion ihrer Stoßzähne liefern werden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Stoßzähne auch bei der Jagd, der Kommunikation oder als chemisches Sinnesorgan von Nutzen sind, schreiben die Autoren. Das würde erklären, warum auch ein Teil der weiblichen Tiere über einen Stoßzahn verfügt.

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