Kristallgitter beim Schmelzen beobachtet

Winzige Kunststoffkügelchen dienen als Modell für Atome in Festkörpern – besserer Einblick in komplexe Prozesse der Phasenübergänge
Ein bereits flüssiger Bereich verschmilzt im Kristall mit einem weiteren unter starkem Vibrieren (rot markiert) der Partikel.
Ein bereits flüssiger Bereich verschmilzt im Kristall mit einem weiteren unter starkem Vibrieren (rot markiert) der Partikel.
© Ziren Wang
Hong Kong (China) - Üblicherweise schmelzen Kristalle nach und nach von außen nach innen. Doch mit überhitzten Kolloid-Kristallen verläuft dieser Prozess auch umgekehrt. Chinesische Physiker untersuchten diese speziellen Schmelzvorgänge unter dem Mikroskop nun genauer und konnten dabei das Verhalten einzelner Partikel im Detail verfolgen. Ihre in der Zeitschrift „Science“ veröffentlichten Ergebnisse, die zum Teil über 100 Jahre alte Theorien belegen, können das Verständnis komplexer Phasenübergänge genauer erklären helfen.

„Nukleationsprozesse können in atomaren oder molekularen Systemen kaum beobachtet werden, da die Partikel zu klein und zu schnell sind“, sagt Yilong Han von der Hong Kong University of Science and Technology. Um dennoch Details des Schmelzübergangs vom Kristall zur Flüssigkeit zu erfahren, nutzten Han und Kollegen einen Kolloid-Festkörper aufgebaut aus Mikrometer großen Kunststoffkügelchen. Diese können näherungsweise als „große Atome“ angesehen werden und erlauben Rückschlüsse auf Phasenübergänge molekularer Systeme.

Ihre Kristallprobe aus festen Acrylamid-Kügelchen heizte sich mit Licht von 26 auf knapp 31 Grad auf. Unter dem Mikroskop sahen die Forscher, wie die Kügelchen im Innern des Kolloid-Kristalls langsam schmolzen. Dabei entstanden – im Widerspruch zu bisherigen Annahmen – keine Lücken oder sonstigen Fehlstellen in der Struktur. Vielmehr tauschten die aufgeweichten Kügelchen mit ihren direkten Nachbarn ihre Plätze. In diesem „Loop-Prozess“ sahen die Forscher den Beginn des Schmelzvorgangs der gesamten Struktur. Die Bewegungen der Partikel nahm nach und nach zu, bis der gesamte Kolloid-Kristall geschmolzen war.

In Versuchen mit deutlich über ihren Schmelzpunkt überhitzten Kügelchen trat noch ein weiteres Phänomen auf: Es bildeten sich in der Struktur an verschiedenen Orten kleine flüssige Bereiche, die sich beim Erwärmen zusammenlagerten und schließlich den Kolloidkristall vollständig in die flüssige Phase überführten. Vergleiche der experimentellen Daten mit Computersimulationen auf der Basis des etwa 100 Jahre alten Lindemann-Kriteriums, das eine Kristallschmelze mit der mittleren Schwingungsamplitude der Atome in Zusammenhang bringt, lieferten gute Übereinstimmungen.

Auf der Basis dieser Ergebnisse können nun Phasenübergänge von Kristallen genauer erklärt werden. Yilong Han hält es auch für möglich, nun an perfekten Kristallen zu arbeiten, die selbst bei Temperaturen über dem Schmelzpunkt, also im überhitzten Zustand, in eine metastabile Zwischenphase übergehen könnten.

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