Italien: Mogelei bei Treibhausgasen?

Schweizer Klimaforscher messen mindestens zehnfach höhere Emissionen eines Fluorkohlenwasserstoffs als offiziell deklariert
Jungfraujoch in den Schweizer Alpen
Jungfraujoch in den Schweizer Alpen
© Eric Hill, CC license 2.0
Dübendorf (Schweiz) - Das Gas Trifluormethan schädigt das Erdklima knapp 15.000-mal stärker als Kohlendioxid. Und aus sechs Fabriken in Westeuropa gelangt etwa doppelt so viel von diesem Treibhausgas in die Atmosphäre als die Staaten gemäß dem Kyoto-Protokoll offiziell angeben. Zu diesem Ergebnis kommen Schweizer Wissenschaftler, die in Irland und auf dem Jungfraujoch die tatsächlichen Trifluormethanmengen mit hoher Präzision gemessen haben. Ihre Studie, die sie in der Fachzeitschrift "Geophysical Research Letters", veröffentlichen, stellt vor allem Italien an den Pranger. Der nicht deklarierte Ausstoß von Trifluormethan aus einer Fabrik westlich von Mailand entspreche etwa der jährlichen Kohlendioxid-Emission einer Stadt mit 75.000 Einwohnern, geschätzt bis zu 630.000 Tonnen CO2-Äquivalent.

"Man ging davon aus, dass vor allem China und einige Entwicklungsländer ihre Emissionen nicht korrekt meldeten", sagt Stefan Reimann vom Forschungszentrum Empa in Dübendorf. Doch zusammen mit seinen Kollegen belegte er nun, dass offenbar auch westeuropäische Staaten es mit dem Klimaschutz nicht so genau nehmen. Mit empfindlichen Massenspektrometern und Gaschromatographen in der Jungfraujoch-Messstation in 3580 Meter Höhe analysierten die Forscher die Luft auf Anteile an halogenierten Treibhausgasen. Kombiniert mit ähnlichen Messungen im Westen Irlands und meteorologischen Computermodellen bestimmten sie nicht nur die Menge an Trifluormethan, sondern auch die Herkunft dieses sehr potenten Treibhausgases.

Im Unterschied zu Kohlendioxid wird Trifluormethan ausschließlich bei der Herstellung von Kühl- und Schäummitteln und in der Teflonproduktion verwendet. Die Emissionen aller sechs Fabriken Westeuropas konnten daher mit den Messungen zweifelsfrei identifiziert werden. Die Daten aus den Jahren 2008 bis 2010 überraschten die Forscher immer wieder mit rätselhaften Konzentrationsspitzen, die mit den deklarierten Trifluormethan-Mengen nicht erklärt werden konnten. Eine genauere Analyse ergab für die italienische Fabrik 26 bis 56 Tonnen Trifluormethan während des Untersuchungszeitraums. Deklariert wurden von Italien für das Jahr 2009 jedoch nur 2,6 Tonnen.

Zwei deutsche Fabriken im Südwesten des Landes emittierten zwar auch 40 bis 63 Tonnen, doch stimmte diese Menge mit den offiziell angegebenen Zahlen überein. Das gleiche gilt für Frankreich. Großbritannien und die Niederlande dagegen haben ihre Trifluormethan-Emissionen um etwa die Hälfte unterschätzt.

Direkte Sanktionen haben die Staaten mit abweichenden Angaben noch kaum zu befürchten. Denn das derzeit gültige Kyoto-Klimaprotokoll sieht noch keine unabhängigen Kontrollen der gemeldeten Emissionsmengen vor. Mit einem Folgeabkommen, über das die Weltklimakonferenz COP17 im Dezember in Durban verhandelt wird, könnte sich dies allerdings ändern. Klimaforscher Stefan Reimann hält es für sinnvoll, derartige Luftanalysen global zu erheben. Doch müsste dazu das Netzwerk an Messstationen vor allem in Osteuropa und Ostasien ausgebaut werden.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: "Evidence for under‐reported western European emissions of the potent greenhouse gas HFC‐23", C. A. Keller et al.; Geophysical Research Letters, DOI: 10.1029/2011GL047976


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg