Hart und biegsam: Schwamm-Skelett als Vorbild für neue Materialien
„Die sich selbst anordnenden Spicula von 10 bis 300 Mikrometern Länge und 5 bis 10 Mikrometern Durchmesser bestehen aus ausgerichteten Kalzit-Nanokristallen“, schreiben die Chemiker um Filipe Natalio von der Universität Halle-Wittenberg und Wolfgang Tremel von der Universität Mainz. „Ursprünglich sind sie unkristallisiert, aber innerhalb von Monaten wandeln sie sich zu Kalzit.“ Gemeinsam mit Kollegen des Max Planck-Instituts für Polymerforschung in Mainz hatten Natalio und Tremel die Skelettnadeln in Kalkschwämmen vom Sycon-Typ näher untersucht. Wie bei Knochen, Muschelschalen oder Zähnen entstehen sie durch Biomineralisierung: Organische Moleküle wie Proteine fügen anorganische, eigentlich spröde Rohstoffe wie Silikate oder Karbonate zusammen, damit diese eine harte Oberfläche bilden. Diese ist relativ bruchstabil, weil Risse im kleinteiligen, unperfekten Zusammenbau schnell ins Leere laufen. Bei Schwämmen ist etwa das Protein Silicatein-α für das Wachstum von Mineralnadeln zuständig. Bei den sogenannten Kieselschwämmen konstruiert es Silikat-Nadeln in spezialisierten Zellen – die Proteine binden gelöstes Silikat und ordnen sich mit dieser Ladung in mehreren Schichten selbstständig um eine zentrale Achse an. So formen sie Stäbchen aus Silikatschichten, die allerdings nicht kristallisieren. In Kalkschwämmen hingegen entstehen durch Kristallisierung von Karbonat starre, unterschiedlich geformte Kalzit-Einkristalle, allerdings offenbar auch mit einigen integrierten Proteinresten.
Das Forscherteam kombinierte nun beide Varianten – das Anordnen zu Stäbchen und das Kristallisieren – und erreichte noch robustere Mineralnadeln. Es versah Silicatein-α-Moleküle statt mit Silikaten (SiO2) als Baustoff mit Kalziumkarbonaten (CaCO3). In passender Laborumgebung arrangierten sich die Makromoleküle samt Ladung innerhalb einer Stunde tatsächlich zu den erwarteten gleichförmigen runden Stäbchen – äußerlich kaum von natürlichen Silikat-Nadeln zu unterscheiden, wie Bilder eines Rasterelektronenmikroskops bestätigten. Der Kalzit an ihrer Oberfläche war allerdings noch amorph – erst nach einer Reifezeit von rund sechs Monaten waren benachbarte Partikel schließlich zu starren Kalzit-Nanokristallen verbunden. Die zwischen ihnen nach wie vor eingebetteten Proteinmoleküle sorgten dabei für Flexibilität, absorbierten Belastungen und stoppten Risse.
Eine eigens entwickelte Messmethode zeigte, dass die synthetischen Nadeln zehn bis 16 Prozent organische Moleküle enthalten, ähnlich einem Gummistab, der von hartem Kristallmosaik bedeckt und durchsetzt ist. Deshalb ist die künstliche Variante der Schwamm-Nadeln dreimal biegsamer und bruchfester als ihr Vorbild, schreiben Natalio und Kollegen: „Die organischen Makromoleküle spielen eine Schlüsselrolle: Sie stabilisieren die Übergangsphase, beeinflussen die Form und überwinden die ursprüngliche Brüchigkeit der kristallinen Phase.“ Gerade die Biegsamkeit macht die neuen Nadeln neben anderen Einsatzfeldern nun auch als Lichtleiter für die Faseroptik interessant. Allerdings müssen sie dazu noch von kurzen Stäbchen zu langen Fasern weiterentwickelt werden.