Bremsklotz aus Urknall-Materie

Extrem heiße und dichte Materie bremst verschieden schwere Teilchen gleichermaßen - Widerspruch zu theoretischen Modellen
Der CMS-Detektor (Compact Muon Solenoid) am CERN
Der CMS-Detektor (Compact Muon Solenoid) am CERN
© Domenico Salvagnin
Genf (Schweiz) - Sekundenbruchteile nach dem Urknall lag die gesamte Materie in unserem Universum in Form eines extrem dichten und heißen Feuerballs vor. Um die Eigenschaften dieses besonderen Materiezustands zu untersuchen, schießen Physiker in riesigen Teilchenbeschleunigern schwere Atomkerne aufeinander. Dabei konnten Forscher des Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf nun eine überraschende Erkenntnis gewinnen: Dieser nach seinen Hauptbestandteilen Quark-Gluon-Plasma genannte Materiezustand bremst Teilchen sehr verschiedener Masse ähnlich stark. Diese Ergebnisse, die die Wissenschaftler nun in den „Physical Review Letters“ veröffentlicht haben, widersprechen einigen theoretischen Modellen und könnten das Verständnis der frühen Entwicklung unseres Universums voranbringen.

„Indem wir schwere Atomkerne am Large Hadron Collider aufeinander schießen, hoffen wir, so große Energiedichten zu erreichen, dass sich ein Quark-Gluon-Plasma bildet“, berichten Serguei Chatrchyan vom Physikalischen Institut im armenischen Eriwan und seine Kollegen vom Genfer Großdetektor Compact Muon Solenoid, an dem die Experimente stattfanden. In einem Quark-Gluon-Plasma sind die Komponenten von Atomen völlig in ihre elementaren Einzelteile aufgelöst. So bestehen Atome aus einer Hülle von Elektronen und einem Atomkern, der seinerseits aus Protonen und Neutronen aufgebaut ist. Jedes Proton und Neutron wiederum besteht aus drei Quarks, die von Gluonen zusammengehalten werden. Bei extrem hohen Energiedichten, wie sie Millionstel Sekunden nach dem Urknall vorgelegen haben oder wie sie sich heute bei Teilchenkollisionen an den stärksten Teilchenbeschleunigern erzeugen lassen, überwinden diese Partikel ihre Trennung und verwandeln sich in eine heiße und äußerst kurzlebige Teilchensuppe mit besonderen Eigenschaften. Die Physiker am CERN nutzten hierzu zwei Strahlen aus Blei-Atomkernen, die sie mit extrem hoher Energie aufeinander schossen.

Je nachdem, wie bei solchen Teilchenkollisionen die Partikel aufeinander stoßen, fliegen hin und wieder zwei Teilchen mit hoher Energie in entgegengesetzter Richtung aus dem Quark-Gluon-Plasma heraus. Dies geschieht, wenn sich etwa zwei Bestandteile der Blei-Atomkerne besonders hart treffen und dadurch beide stark zur Seite gelenkt werden. Die entstehenden Strahlenbündel bezeichnen Physiker auch als Jets. Durch die hohe Energie bei diesen Kollisionen entstehen weitere unterschiedlich schwere Elementarteilchen. Wenn einer der beiden Jets nun quer durch das Quark-Gluon-Plasma fliegen muss und der andere gleich nach seiner Entstehung aus ihm austritt, so wird der erste durch das Plasma gebremst oder sogar völlig absorbiert. Durch Vergleich verschiedener Jets konnten die Wissenschaftler nun die besonderen Bremseigenschaften dieses Materiezustands bestimmen: Das Quark-Gluon-Plasma bremst verschiedene Arten von Quarks ähnlich stark, auch wenn deren Masse um einen Faktor tausend auseinander liegt. Dies deutet darauf hin, dass die Physik des frühen Universums komplexer ist, als viele heutige Modelle es vorhersagen.

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