Im O-Ton

Warum war die Geldsteuer ein großer Schritt der Menschheit?

Professor Dr. Michael Jursa, Altorientalist an der Universität Wien
Professor Dr. Michael Jursa, Altorientalist an der Universität Wien
© Michael Jursa
Ein Interview mit Professor Dr. Michael Jursa, Altorientalist an der Universität Wien


Wissenschaft aktuell: Seit wann gibt es eigentlich Geld?

Jursa: Das kommt auf die Definition von Geld an. Wenn man sagt: "Geld ist, was gilt" - was auch der Etymologie unseres Wortes "Geld" entspricht -, dann kann Geld auch gewogenes Edelmetall sein. Das sind dann zwar keine Münzen mit Prägung, wie wir sie kennen, aber es ist Geld. Und gewogenes Edelmetall mit Geldfunktion kann man schon in Mesopotamien im 3. Jahrtausend v. Chr. nachweisen. Im 7. Jahrhundert v. Chr. zirkuliert solches Geld in einem solchen Umfang, dass man von einer monetarisierten Wirtschaft sprechen kann.

Wissenschaft aktuell: Was ist denn die Hauptfunktion dieses frühen Geldes?

Jursa: Im Grunde keine andere als heute auch: Man kann es gegen beliebige Produkte eintauschen. Das ist der große Vorteil von Geld gegenüber Tauschwaren: Geld ist im Prinzip gegen alles eintauschbar und kann beliebig lange aufbewahrt werden.

Wissenschaft aktuell: Was änderte sich, nachdem die Menschen das Geld für sich entdeckt hatten? War das nicht wie ein zweiter Sündenfall?

Jursa: Die Verwendung von Geld bringt natürlich schon bedeutende gesellschaftliche und wirtschaftliche Änderungen. Für die Herausbildung von Staatlichkeit, Wirtschaft, Gemeinwesen und Arbeitsteilung war die "Erfindung" des Geldes und noch mehr die der Geldbesteuerung ein großer Schritt. In traditionellen Gesellschaften ist Autonomie ein Ideal: Die Menschen ernährten sich von dem, was sie selbst anbauten. Die Herrscher erwarteten natürlich, dass das Volk sie mit ihren angebauten Produkten versorgen würde. Aber solange diese Abgaben an die Herrscher in Naturalien erfolgten, änderte sich prinzipiell nichts an den Lebensumständen der einfachen Menschen. Sie aßen weiterhin das, was sie anbauten und bauten vielleicht etwas mehr an, damit sie etwas davon abgeben konnten.
Irgendwann aber kamen die Herrscher auf die Idee, die Abgaben in Form einer Geldsteuer zu fordern – weil Geld leichter transportierbar und hortbar war und flexibler eingesetzt werden konnte als Naturalien. Für die Abgabenpflichtigen änderte sich plötzlich sehr viel: Sie mussten jetzt den Teil, der abgegeben werden sollte, erst einmal umwandeln in ein Edelmetall, das heißt: Sie mussten auf dem Markt verkaufen, was sie angebaut hatten, damit sie zu diesem Edelmetall kamen. Auf diese Weise wurde ein großer Teil der Bevölkerung zur Teilnahme am Marktgeschehen gezwungen.
Die Entstehung eines einigermaßen effizienten und umfassenden Markts ist kaum ohne staatliche Inzentive über Besteuerung denkbar, und umgekehrt besteht die Möglichkeit, Geldsteuern einzunehmen, nur dann, wenn die Voraussetzungen für die Ausbildung eines effizienten Markts wie zum Beispiel eine geeignete Infrastruktur, Verkehrswege etc., gegeben sind. Die beiden Aspekte bedingen einander und verstärken einander wechselseitig.
Darum kann man sagen, dass Geldwirtschaft ohne Geldbesteuerung nicht denkbar ist. Die entsprechenden Prozesse lassen sich in Mesopotamien nun erstmals wirklich an Hand von Dokumenten im Detail nachverfolgen.


Das Interview führte unsere Redakteurin Doris Marszk.


 

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