Zweifelhafter Nutzen von Tierversuchen: Menschen reagieren auf Verletzungen völlig anders
„Wir möchten mit unserer Arbeit eine breite Diskussion unter Wissenschaftlern und Forschungsorganisationen darüber in Gang setzen, welchen Wert Mausmodelle bei unterschiedlichen Fragestellungen haben“, sagt Shaw Warren vom Massachusetts General Hospital in Boston, einer der beteiligten Forscher. In früheren Untersuchungen hatte die Arbeitsgruppe bereits festgestellt, dass schwere Verletzungen einen „Sturm im Genom“ des Patienten auslösen: Etwa 80 Prozent aller Gene ändern ihre Aktivität und verursachen damit unter anderem Entzündungsreaktionen. Für ihre neue Studie wählten sie 167 Patienten mit größeren Wunden und 244 Menschen mit Brandverletzungen aus, um den zeitlichen Verlauf der veränderten Genaktivitäten zu verfolgen. Dazu entnahmen sie wiederholt Blutproben und analysierten, welche Gene der weißen Blutkörperchen ein- oder ausgeschaltet sind. Parallel dazu ermittelten sie entsprechende Gen-Daten von verletzten Mäusen.
In den menschlichen Zellen hatten 6 bis 12 Stunden nach der Verletzung mehr als 5.500 Gene ihre Aktivität verändert. Obwohl 4.900 davon auch im Erbgut der Maus vorliegen, zeigten bei den Tieren nur ein Drittel dieser Gene erhöhte oder verringerte Aktivitäten. Außerdem hielten die Veränderungen beim Menschen ein bis sechs Monate an, bei Mäusen dagegen nur einige Stunden bis vier Tage. Die Forscher bestätigten diese Befunde durch Genanalysen von Patienten mit verschiedenen Infektionen und anderen entzündlichen Erkrankungen. Unabhängig von Art und Schweregrad der Krankheit und unabhängig von Alter, Geschlecht und Therapieform zeigten sämtliche Patienten ähnlich veränderte Genaktivitäten, die nicht mit den Messungen bei Mäusen vergleichbar waren.
Offenbar reagieren Menschen mit viel stärkeren und länger andauernden Entzündungsreaktionen als die Tiere. Daher sei es wenig effektiv, entzündungshemmende Medikamente an Mäusen zu testen, schreiben die Forscher. Andererseits könnten weitere vergleichende Forschungsarbeiten dabei helfen, neue Mittel zu entwickeln, die gegen eine Vielzahl entzündlicher Erkrankungen gleichzeitig wirksam wären. Für die dazu notwendigen Tests sollten, so die Autoren, vermehrt menschliche Zell- und Gewebekulturen anstelle von Tieren eingesetzt werden.