Wie wird man Opernfan?

Opernfan wird man nicht über Nacht und auch nicht durch ein einzelnes musikalisches Erweckungserlebnis. Die Liebe zur Oper entsteht vielmehr in einem mehrphasigen Prozess, der Ähnlichkeiten mit Initiationsriten aufweist
Storrs (USA) - Wenn Schauspieler und Sänger sich erinnern, wie sie zur Musik oder zur Bühne gekommen sind, dann spielt meist irgendeine Art von Erweckungserlebnis eine Rolle: Man wurde mit sieben Jahren vom Vater in eine Aufführung der "Zauberflöte" mitgenommen oder man man hat mit zwölf Jahren erstmals ein Stück von Shakespeare gesehen und war völlig ergriffen. Erlebnisse dieser Art sind natürlich nicht von der Hand zu weisen. Doch vor allem bei Menschen, die nicht aus bildungsbürgerlichen Familien stammen und nicht früh an Kultur herangeführt wurden, entsteht die Liebe zu einer schwer zugänglichen Gattung wie der Oper in einem mehrphasigen Prozess. Dieser hat etwas von Initiationsriten, wie man sie von Naturvölkern kennt, zeigt ein amerikanischer Forscher in der Fachzeitschrift "Qualitative Sociology".

"In den gegenwärtigen soziologischen Debatten über den sozialen Charakter von Geschmack sehen wir kaum, warum jemand sich überhaupt auf eine bestimmte Kunst einlässt, was seine oder ihre erste Reaktion darauf ist, welche Bedeutung jemand dieser Erfahrung beimisst und welche Stadien er oder sie durchläuft, um ein Wissensniveau zu erreichen, das ihm oder ihr den wahren Genuss erst ermöglicht", schreibt Claudio Benzecry von der University of Connecticut. "Das heißt, uns fehlt das Bindeglied zwischen sozialer Struktur und Geschmack."

Benzecry hat 18 Monate lang soziologische Feldforschung auf den billigen Rängen der Oper von Buenos Aires betrieben. Am Anfang steht für diese Besucher aus der unteren Mittelschicht nicht so sehr das musikalische Erlebnis selbst, sondern der Kontakt zu einer Person, die bereits Erfahrung mit dieser Musikgattung hat, fand der Forscher heraus.

Der erste Teil des Lernprozesses erfolgt dann über die nicht-musikalischen Momente der Vorstellung, sei es das Schlangestehen vor den Kassen, die Pausen oder die Busfahrten zu den Opernhäusern. Vor der Vorstellung und während der Pausen treffen sich die Freunde der Oper, um zu reden, zu vergleichen und ihre Eindrücke und Erfahrungen auszutauschen. In der zweiten Phase lernen die Opernfans von den „Maestros“, indem sie sich Gruppen anschließen und Lesungen hören, in denen deutlich wird, was ein Fan in der Oper sehen sollte, welche Erfahrungen wichtig sind und wie er sich während einer Vorstellung verhalten sollte. Und zu guter Letzt lernen die Opernbegeisterten von Erfahreneren oder Älteren, die ihnen gewisse Verhaltensregeln vermitteln, etwa wann Missfallen geäußert wird, wann man sich still verhält und wann geklatscht wird.

Die Opernfans berichteten dem Forscher auch davon, welch ein explosives Erlebnis - ähnlich wie bei der Liebe auf den ersten Blick - die Musik beim ersten Opernbesuch war. Benzecrys Studien machen aber vor allem deutlich, dass Opernbegeisterte die Aufführung nicht deshalb genießen, weil sie - bei aller Unkenntnis - von der Musik berührt sind, sondern weil sie glauben, dass man sich ein bestimmtes Wissen aneignen muss, um eine Oper wirklich schätzen zu können.

"Ich behaupte nicht, dass alle Fans in den Opernhäusern von Buenos Aires, auch nicht alle auf den oberen Rängen, sich in der gleichen Weise verhalten", sagt Benzecry. "Vielmehr ist es so, dass es eine gewisse Gemeinsamkeit gibt, wie Oper vermittelt, gelernt, geschätzt und der Besuch der Oper wiederholt wird."

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Quelle: "Becoming a fan: on the seductions of opera", Benzecry C.E., Qualitative Sociology, 2009, im Druck, DOI 10.1007/s11133-009-9123-7


 

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