Wie schwer ist ein Neutrino?

Langjährige Messungen des Beta-Zerfalls von Tritium bestimmen die Obergrenze für die Neutrinomasse auf 0,45 Elektronenvolt.
Blick ins Innere des KATRIN-Hauptspektrometers.
Blick ins Innere des KATRIN-Hauptspektrometers.
© M. Zacher/KATRIN Coll.
Karlsruhe - Jede Sekunde fliegen mehr als 100 Milliarden Neutrinos durch unseren Körper. Das ist ungefährlich, da die winzigen, ungeladenen Teilchen aus dem Inneren der Sonne nahezu nie mit Atomen oder Molekülen wechselwirken. Laut dem Standardmodell der Physik sollte ein Neutrino keine Masse tragen. Doch seit 1987 haben immer mehr Experimente gezeigt, dass sich die drei Neutrinovarianten – das Elektron-, das Myon- und das Tau-Neutrino – ineinander umwandeln können. Und für diesen Prozess – die Neutrino-Oszillation – ist zumindest etwas Masse notwendig. Nun zeigte eine internationale Kollaboration von Teilchenphysikerinnen und Teilchenphysikern, dass ein Neutrino nicht schwerer sein kann als 0,45 Elektronenvolt – das entspricht etwa 8 mal 10-34 Gramm und damit knapp einem Millionstel der Ruhemasse eines Elektrons. Ihre Messungen präsentieren die Forschenden in der Fachzeitschrift „Science“.

Die weltweit genaueste Waage für Neutrinomassen befindet sich in Karlsruhe. Doch KATRIN – das KArlsruhe TRItium Neutrino Experiment – ist keine Waage im klassischen Sinne, sondern eine 70 Meter lange Anlage mit einem speziellen Spektrometer, vielen Sensoren und einer großen Vakuumkammer. In dieser Anlage untersuchen die Forschenden den Beta-Zerfall von Tritium, einem schweren, radioaktiven Wasserstoff-Isotop, dessen Kern aus einem Proton und zwei Neutronen besteht. Bei diesem Zerfall wandelt sich ein Neutron in ein Proton um. Zugleich entsteht ein Elektron und ein Elektron-Antineutrino, das – ganz typisch für Antiteilchen – die gleiche Masse hat wie ein Elektron-Neutrino.

Beim Beta-Zerfall wird eine feste, bekannte Energiemenge auf das Elektron, das Anti-Neutrino und das entstandene Teilchen 3Helium aus zwei Protonen und einem Neutron übertragen. Mit KATRIN messen die Forschenden nun die maximale Energien der Elektronen, die zum Ende des Beta-Zerfalls auftreten. Ergibt diese Energie mit der bekannten Energie von 3Helium die Ausgangsenergie, bleibt nichts für das Anti-Neutrino übrig. Ohne Energie müsste es also – entsprechend Einsteins berühmter Formel E=mc2 – auch masselos sein. Doch die Experimente zeigen eine winzige Abweichung. Und genau diese ergeben die nun ermittelte obere Grenze der Neutrinomasse von 0,45 Elektronenvolt.

Für das neue Ergebnis waren viele Messungen zwischen den Jahren 2019 und 2021 nötig. An insgesamt 259 Tagen bestimmte die KATRIN-Kollaboration die Energie von rund 36 Millionen Elektronen und damit auch die Masse von der gleichen Anzahl an Anti-Neutrinos. Dank dieser guten Statistik sind sich die Forschenden zu mindestens 90 Prozent sicher, dass ihr aktueller Messwert für die Masseobergrenze eines Neutrinos korrekt ist.

Mit diesem Ergebnis geben sich die Forschenden aber noch nicht zufrieden. Ende dieses Jahres wird die jüngste Messreihe an KATRIN abgeschlossen sein. Dann werden an insgesamt 1000 Tagen die Energien bzw. Massen von Elektronen und Neutrinos bestimmt worden sein. Das KATRIN-Team erwartet, dass dann die Masseobergrenze eines Neutrinos sogar noch kleiner sein und bei etwa 0,3 Elektronenvolt liegen könnte. Das entspräche den nach aktuellen Theoriemodellen prognostiziertem Wert. Diese Messungen bilden dann die Grundlage, um die Welt der Elementarteilchen besser zu verstehen und auch das Standardmodell der Teilchenphysik zu erweitern.

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