Wie ein kalorienfreier Süßstoff den Appetit anregt

Bei Fliegen und Mäusen aktiviert ein vorübergehender Futterzusatz von Sucralose spezielle Hirnzellen, was ein Hungergefühl auslöst und die Nahrungsaufnahme verstärkt
Auch wenn ein Süßstoff im Gegensatz zu natürlichen Zuckerarten keine verwertbaren Kalorien hat, kann er das Essverhalten beeinflussen.
Auch wenn ein Süßstoff im Gegensatz zu natürlichen Zuckerarten keine verwertbaren Kalorien hat, kann er das Essverhalten beeinflussen.
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Sydney (Australien) - Kalorienfreie Süßungsmittel stehen schon länger im Verdacht, bei anhaltendem Konsum den Appetit zu steigern und eine Zunahme des Körpergewichts zu verursachen. Erstmals haben australische Forscher jetzt durch Experimente mit Fliegen und Mäusen entdeckt, wie eine solche Wirkung zustande kommen kann. Sie versetzten das Futter der Tiere einige Tage lang mit dem Süßstoff Sucralose und tauschten diesen danach durch Rohrzucker aus. Dabei beobachteten sie die Aktivierung eines bisher unbekannten Netzwerks von Hirnzellen, das sowohl den süßen Geschmack als auch die Kalorienzufuhr registrierte. Bei Konsum des Süßstoffs erkannte dieses Netzwerk offenbar eine Diskrepanz zwischen Geschmacksempfindung und Kaloriengehalt, die es bei natürlichem Zucker nicht gibt. Das erzeugte ein falsches Hungersignal und verstärkte unnötigerweise die Nahrungsaufnahme, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt „Cell Metabolism”. Sucralose ist ein in der EU zugelassener Süßstoff, der durch Chlorierung von Rohrzucker hergestellt wird. Die Süßkraft des kalorienfreien Süßungsmittels ist gegenüber Rohrzucker 600fach erhöht.

„Wir haben herausgefunden, dass ein chronischer Konsum dieses künstlichen Süßstoffs das Geschmacksempfinden der Süße von echtem Zucker verstärkt – und das verstärkt die Motivation, mehr zu essen“, sagt Greg Neely von der University of Sydney. Normalerweise ist die Aufnahme von süßer Nahrung immer mit einer Zufuhr von Kalorien verbunden – je intensiver der süße Geschmack, desto kalorienreicher die Kost. Künstlich gesüßte Nahrungsmittel aktivieren zwar auch Belohnungszentren im Gehirn. Aber nach einiger Zeit wird registriert, dass trotz der wahrgenommenen Süße keine entsprechenden Mengen an Kalorien aufgenommen wurden. Das setzt Reaktionen in Gang, die sonst nur bei Hunger ablaufen.

Die Forscher arbeiteten zunächst mit Taufliegen (Drosophila melanogaster), die mit Sucralose gesüßte, hefehaltige Nahrung als ähnlich schmackhaft empfinden wie Nahrung, die Rohrzucker enthält. Hatten die Tiere mindestens fünf Tage den künstlichen Süßstoff konsumiert, nahmen sie nach der Umstellung auf natürlich gesüßte Kost mehr Nahrung und 30 Prozent mehr Kalorien zu sich als die durchgehend mit Rohrzuckerzusatz gefütterten Fliegen. Dieser verstärkte Appetit hielt etwa drei Tage an. Spezielle Tests ergaben, dass die Tiere nach sechstägigem Sucralosekonsum mit erhöhter Empfindlichkeit auf die natürliche Süße des Rohrzuckers reagierten. Das sei damit vergleichbar, sagt Neely, dass ganz allgemein nach einer Hungerphase das Essen als schmackhafter empfunden werde als zuvor. Tatsächlich hatte der Süßstoff dasselbe Netzwerk von Nervenzellen aktiviert, das auch bei Hunger aktiv wird.

Dieses neuronale Netzwerk gibt es in ähnlicher Funktion auch bei Säugetieren. Das bestätigten Experimente mit Mäusen, deren Futter sieben Tage lang mit Sucralose versetzt wurde. Nach der Umstellung auf Rohrzucker erhöhte sich die Nahrungsaufnahme – ausgelöst durch Hirnzellen, die denen bei den Fliegen entsprachen. „Künstliche Süßstoffe können beeinflussen, wie Tiere Süße in der Nahrung wahrnehmen“, sagt Herbert Herzog vom Garvan Institute of Medical Research, der für die Versuche mit den Mäusen verantwortlich war. „Besteht zwischen Süßigkeit und Energiezufuhr eine Diskrepanz, löst das eine gesteigerte Kalorienaufnahme aus.“ Wenn diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind, wäre es leichtfertig, Übergewichtigen kalorienfreie Süßungsmittel zu empfehlen. Zunächst sollten deren Nebenwirkungen auf den Stoffwechsel und auf die Regulation der Energiebilanz genauer erforscht werden.

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