Wie Babys erkennen, was abgeht

Schon Kleinstkinder können von eigenen Erfahrungen auf Handlungsmotive anderer Menschen schließen
Seattle (USA) - Lange vor dem Kindergartenalter können sich Kleinkinder einen Reim auf das Verhalten anderer Menschen machen. Sie schließen einfach von ihren eigenen Erfahrungen auf die Motive anderer, fand ein amerikanisches Forscherteam jetzt heraus. In Experimenten, die die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "Developmental Psychology" beschreiben, wurde deutlich, dass Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr in der Lage sind, ihr eigenes Blickfeld mit dem anderer Menschen zu vergleichen. Durch dieses "Ich-sehe-was-du-siehst" können sie ableiten, was den anderen Menschen gerade interessiert.

"Eines der interessantesten Rätsel in der Entwicklungspsychologie ist, wie Kleinstkinder dahin kommen, die Gefühle und Gedanken anderer Menschen zu verstehen", erklärt Andrew Meltzoff von der University of Washington. "Sie können ja nur die Körperbewegungen der anderen Person sehen, aber nicht in ihr Herz gucken. Unsere Forschung legt die Vermutung nahe, dass die Kleinstkinder sich selbst als Modell nehmen, um andere Menschen zu verstehen. Sie nehmen an, dass das, was sie selbst in gewisser Weise beschäftigt oder anzieht, auch andere Menschen beschäftigt oder anzieht. Es ist ein guter Tipp, und er funktioniert."

Meltzoff und seine Kollegen hatten in Experimenten mit einem versteckten Tuch, einer blickdichten Augenbinde und einer Augenbinde mit Sichtfenster gearbeitet: Eine Gruppe von Kleinstkinder bekam eine echte blickdichte Augenbinde auf, während der Versuchsleiter ein schwarzes Tuch, mit dem die Kinder zuvor gespielt hatten, versteckte. Die andere Gruppe trug eine Augenbinde mit Sichtfenster, während der Versuchsleiter das Tuch versteckte. Danach legte sich der Versuchsleiter selbst eine Augenbinde an. Die Forscher beobachteten nun, wie sich die Kinder verhielten. Die Kinder, die die echte Augenbinde aufgehabt hatten, interessierten sich kaum für die Suche des verbundenen Versuchsleiters nach dem Tuch. Denn sie schlossen, dass die Augenbinde ihn ohnehin hindern würde, irgendetwas zu sehen. Denn sie hatten ja selbst die Erfahrung gemacht, dass mit so einer Binde vor den Augen nichts zu erkennen war.

Die Kinder jedoch, die die Augenbinde mit Sichtfenster gehabt hatten, gingen davon aus, dass die Augenbinde auch den Versuchsleiter nicht daran hindern würde, etwas zu erkennen. Darum folgten sie interessiert seinen Suchbewegungen und seinen Blicken. "Sie sagen sich: Du bist 'wie ich' und darum wende ich meine Erfahrungen auf dich an. Indem sie etwas über sich selbst lernen, kommen sie dahin, auch uns zu verstehen", sagt Meltzoff. "Dies ist eine fundamentale Lebenslektion und zwar eine, die sie lange vor dem Kindergartenalter lernen."

University of Washington
Quelle: Andrew Meltzoff et al., Developmental Psychology, September 2008, im Druck


 

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