Wechselnde Vorlieben nach Fressattacke

Zum Schutz verlegen Tabakpflanzen ihre Blütezeit in den Tag und ziehen damit Kolibris statt Motten zur Bestäubung an
Der in Nordamerika heimische Wilde Tabak (Nicotiana attenuata) blüht des Nachts und lockt mit dem Duftstoff Benzylazeton nachtaktive Motten als Bestäuber an. Sobald aber die Mottenweibchen gefährlich werden und ihre Eier auf den grünen Blättern ablegen, aus denen gefräßige Raupen schlüpfen, verschiebt die Pflanze den Blühzeitpunkt um 12 Stunden in die Morgendämmerung und stellt außerdem die Duftproduktion der Blüten ein
Der in Nordamerika heimische Wilde Tabak (Nicotiana attenuata) blüht des Nachts und lockt mit dem Duftstoff Benzylazeton nachtaktive Motten als Bestäuber an. Sobald aber die Mottenweibchen gefährlich werden und ihre Eier auf den grünen Blättern ablegen, aus denen gefräßige Raupen schlüpfen, verschiebt die Pflanze den Blühzeitpunkt um 12 Stunden in die Morgendämmerung und stellt außerdem die Duftproduktion der Blüten ein
© Danny Keßler, Max Planck Institut für chemische Ökologie
Jena - Tabak blüht eigentlich in der Nacht und lockt Motten zur Bestäubung an. Damit läuft er allerdings auch Gefahr, dass Mottenweibchen ihre Eier ablegen und kurze Zeit später gefräßige Raupen über seine Blätter herfallen. Doch die Pflanzen haben eine Möglichkeit gefunden, dieser Herausforderung elegant zu begegnen: Wird es ihnen zu bunt mit dem Raupenfraß, verlagern sie ihre Blütezeit von der Nacht in den Tag. Diese Abwehrstrategie haben Forscher des Jenaer Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie im US-amerikanischen Utah beobachtet. Durch ihren Trick ziehen die Tabakpflanzen nicht länger Motten, sondern vielmehr Kolibris zur Bestäubung an. Wie genau sie das bewerkstelligen, beschreiben die Wissenschaftler im Fachblatt "Current Biology".

Bestimmte Moleküle im Speichel der Raupen rufen diese Umstellung hervor - vermutlich über eine Signalkaskade, die auch bei anderen pflanzlichen Verteidigungsmechanismen gegen Schädlinge eine zentrale Rolle spielt. "Es könnte sich vielleicht um die im Speichel vorhandenen Fettsäure-Aminosäure-Konjugate handeln, von denen wir bereits wissen, dass sie die Abwehr der Pflanzen gegen Raupenfraß anschalten, beispielsweise durch die Bildung von Gift gegen den Angreifer", erklärt Danny Kessler, einer der Autoren der Studie. Die Forscher hatten in einer Reihe von Versuchen das Verhalten des Tabaks untersucht. Sie beobachteten, dass die Pflanzen tatsächlich erst dann dazu übergingen, ihre Blüten morgens zu öffnen und tagsüber zu blühen, wenn sie Opfer von Raupenfraß geworden waren. Dann schraubten sie auch die Produktion ihrer Duftstoffe herunter, mit denen sie in der Nacht Motten auch auf größere Entfernungen anziehen.

Indem sie Paare von Tabakpflanzen, von denen jeweils eine von Raupen befallen und am Tag blühte, die andere unversehrt war und in der Nacht blühte, zu bestimmten Zeiten abdeckten, konnten die Forscher bestätigen: Bei den nicht von Raupen befallenen Tabakpflanzen stammt die signifikante Mehrheit der Samenkapseln tatsächlich von den nachts bestäubten Blüten, während bei den von Raupen angefressenen Pflanzen eine erfolgreiche Bestäubung mehrheitlich am Tage stattfindet und demnach durch Kolibris. Auch direkte Beobachtungen im freien Feld bestätigten, dass Kolibris eindeutig die am Tage blühenden Blüten bevorzugen - zu mehr als 90 Prozent.

Eine zentrale Frage ist dabei, warum Tabakpflanzen überhaupt Tomatenschwärmer als Bestäuber anlocken, obwohl dessen Raupen gleichzeitig Fressfeinde sind und somit ein Risiko darstellen. "Diese Frage lässt sich nicht aus dem Blickwinkel einer einzelnen Pflanze beantworten, sondern nur vor einem evolutionsbiologisch-ökologischen Hintergrund", erklärt Ian T Baldwin, Leiter der Studie. Während Kolibris dem Tabak nur dann als Bestäuber zur Verfügung stehen, wenn sie zufällig ihr Nest in der Nähe haben, können die Pflanzen Motten über viel weitere Strecken mithilfe von Duftstoffen anlocken. Außerdem bestäuben Kolibris Blüten eher mit dem Pollen ein und derselben Pflanze als mit dem anderer Pflanzen, was die genetische Variabilität der gebildeten Samen verringern kann. Motten jedoch scheinen reiselustiger zu sein, besuchen viele verschiedene Pflanzen und ermöglichen so vielleicht eine größere genetische Variabilität der Samen.

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "Changing pollinators as a means of escaping herbivores", Ian T Baldwin et al.; Current Biology (Online First, 21 January 2010, DOI 10.1016/j.cub.2009.11.071)


 

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