Was biologische Baumaterialien so erfolgreich macht
„Das Anwenden moderner mechanischer und Materialforschungs-Methoden treibt ein neues Verständnis biologischer Materialien voran und lenkt das Design biologisch inspirierter Materialien und Strukturen“, schreibt das Team um Marc André Meyers von der University of California, San Diego. Gemeinsam mit Kollegin Joanna McKittrick und mit Po-Yu Chen von der National Tsing Hua University in Taiwan hatte der Material- und Nanoforscher die Ergebnisse von weltweiten Studien ausgewertet und gegliedert. Beim Analysieren von Aufbau und Funktion der natürlichen Werkstoffe achtete das Team vor allem auf drei Punkte: Reiß-, Bruch- und Knickfestigkeit. Wie die Natur dies erreicht, untermalt es in seiner Zusammenfassung an bekannten Beispielen, deren oft weniger bekanntem raffinierten Innenleben und den passenden physikalischen Formeln.
So steht etwa die Seide von Seidenraupen (Bombyx mori) für eine hohe Zug- und Zerreißfestigkeit. Der wichtigste Grund dafür liegt im Collagen der Seidenfäden: Das Bioelastomer nimmt Zugenergie auf, indem es über das Dehnen und Entrollen interner Proteinstränge reversible Verformung erlaubt. Noch eine Ebene tiefer geblickt, spielen die Wasserstoffbrückenbindungen dabei eine zentrale Rolle. Ähnlich funktioniert die Seide diverser Spinnenarten, die Wolle von Schafen oder auch die die Eischnüre von Meeresschnecken (Busycon carica), berichten die Forscher. Eine große Härte und Bruchfestigkeit hingegen kommt vor allem zustande, wenn elastische und harte Bestandteile geschickt kombiniert und strukturiert sind: etwa bei Muschelschalen und Perlmutt, bei Knochen und Zähnen oder bei Hirschgeweihen. Der Kopfschmuck von Elchen (Cervus elaphus) gilt dabei als härteste Knochenart überhaupt – erreicht durch ein Zusammenspiel von stark mineralisierten Regionen und einem sehr hohen Collagengehalt, was beginnende Risse sehr schnell auffängt und stoppt. Die Details auf mikro- und nanoskopischer Ebene beschreiben die Forscher ausführlich, ebenso wie beim Perlmutt der Abalone-Schnecke (Haliotis rufescens) oder beim Panzer des Hummers (Homarus americanus). Ersteres verdankt seine Härte unzähliger winziger Kacheln aus Kalziumkarbonat, die durch hauchdünne organische Schichten und kleinste Mineralbrücken verbunden sind. Ebenso wie bei Knochen und Zähnen spielt die Anordnung und Ausrichtung der Komponenten eine wichtige Rolle. Letzerer, das Exoskelett von Krabben und Hummern, setzt auf mineralisiertes Chitin, ebenfalls verschachtelt arrangiert, zwischen dem dehnbare Röhrchen neben dem Zusammenhalt auch den Feuchtigkeitstransport übernehmen.
Für die Knickfestigkeit bei minimalem Gewicht wiederum sind Bambushalme, aber auch Federn und Stachelschweinstacheln (Hystrix cristata) bekannt. Die Forscher erklären dies mit Strukturen wie Hohlstängeln, deren Stabilität etwa beim Bambus durch regelmäßige Querscheiben oder bei Feder und Stachel durch eine Art Hartschaumfüllung erreicht wird. Auch Vogelschnäbel gehören in die Kategorie, besonders der enorme Schnabel des Tukan (Ramphastos toco), der das Tier dank Keratinschale und luftiger Innenverstrebung nicht am Boden hält.
Die noch enormen Vorteile der Naturmaterialien, die im Laufe der Evolution in unterschiedlichsten Ausprägungen entstanden und technisch längst nicht erreicht sind, listen Meyers und Kollegen in sieben Punkten auf:
– Selbstanordnung, wobei sich die Strukturen „bottom-up“, also mit den kleinsten Elementen beginnend aufbauen;
– Multifunktionalität, denn viele Komponenten dienen gleich mehreren Zwecken, Federn etwa sorgen für Flugfähigkeit, Isolierung und Tarnung;
– Hierarchie der Strukturen: Wer mit dem Mikroskop in kleinere Dimensionen schaut, so finden sich dort immer wieder andere, noch kleinere funktionale Strukturen;
– Hydratation oder Wasserspeicherung, weil vor allem die elastischen Eigenschaften sehr vom Anteil eingelagerten Wassers abhängt;
– gemäßigte Produktionsanforderungen: der Natur gelingt die Materialsynthese üblicherweise bei Raumtemperatur und Normaldruck;
– Anpassung an Umweltvorgaben und Evolution: selbst bei eingeschränkten Rohmaterialien gelingen sinnvolle Strukturen, die nicht in jeder Hinsicht optimal sind, aber mehrere Anforderungen zugleich robust und zufrieden stellend erfüllen;
– Selbstheilungseigenschaften, was eng mit dem ersten Punkt verknüpft ist, denn lebendiges Zellmaterial und selbst ordnende Strukturen können kleine Schäden meist eigenständig beheben.
Obwohl die Forscher die Überlegenheit der Natursynthese damit neidlos anerkennen, sehen sie doch gute Aussichten für menschliche Nachahmer. Sie schreiben: „Das Feld weitet sich rapide aus und wir sehen ein beständiges Streben nach bioinspiriertem Material und Design, das sich durch energieffizientere und ‚grünere’ Designs auch auf nachhaltige Entwicklungen ausdehnen wird.“