Warum ineffektive Gruppendynamik die Forschung stört

Studie entlarvt Gründe für mangelnde Kooperation und überhastete Publikationen
Groningen (Niederlande) - Was dem einzelnen Forscher nützt, ist häufig schlecht für die Wissenschaft insgesamt. Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung niederländischer Forscherinnen, die ineffektive Gruppendynamiken anhand einer Fallstudie untersucht hatten. Das gleiche Phänomen fanden sie auch in Kooperationen von Forschungsverbünden, wie sie in der Online-Fachzeitschrift "PLoS Medicine" schreiben. Mit ihrer Publikation erhoffen sich die Autorinnen eine breitere Diskussion über problematische wissenschaftliche Praktiken. Sie knüpften damit an vorhergehende Studien an, die eine schlechter werdende Qualität von Fachartikeln aufgrund wirtschaftlichen Drucks bemängelt hatten.

"Wir finden, dass Wissenschaftler einmal ihre eigene Rolle kritisch evaluieren sollten. Sie müssen erkennen, dass die Verhältnisse in ihren Forschungsgruppen häufig dazu beitragen, dass problematische Praktiken beibehalten werden", fordert Albertine Oldehinkel. Die Hauptaufgabe bestehe nicht darin, bloß Forschungsartikel zu schreiben und zu publizieren, betont die psychiatrische Epidemiologin von der Universität Groningen. Sie sieht die Forscher vor allem in der Pflicht, relevante wissenschaftliche Fragestellungen aufzugreifen und die Ergebnisse kritisch zu analysieren.

Aber genau diesem Ziel stehen laut der Studie die Verhältnisse in vielen Forschungsgruppen entgegen. So wird die Kritikfähigkeit durch den Wunsch und die Notwendigkeit beeinflusst, sich gut mit den Kollegen zu stellen. "Eine wirkliche Evaluation von Ideen und Arbeiten anderer wird nicht immer gut geheißen – speziell nicht, wenn sie eine Veröffentlichung verlangsamt oder gar verhindert", meint Oldehinkel. Ein weiteres praktisches Beispiel: Für eine hohe Synergie ist es eigentlich notwendig, dass Gruppenmitglieder ihr eigenes Wohl hinter das der Gesamtheit zurückstellen. Aber auch dem widerspricht die Realität. Denn große Teile der Arbeiten werden von Doktoranden gemacht. Und deren Ziel ist ein rein individuelles, nämlich die Promotion möglichst schnell abzuschließen.

Auch die Gruppenleiter haben persönliche Motive, weil sie ebenfalls beurteilt werden – was nicht zuletzt Einfluss auf die Forschungsgelder hat. Schließlich verführt der Publikations-Druck einige Autoren dazu, Kompromisse bezüglich der Qualität ihrer Arbeit einzugehen. Um diesem und den vorhergehenden Problemen zu begegnen, schlägt Oldehinkel vor, dass vor den Versuchen klare Ziele definiert werden müssen. Außerdem sollen die Verantwortlichkeiten und Aufgaben aller beteiligten Forscher zu Beginn eindeutig festgelegt werden. Hinzu kommt eine rationale Auswahl von Methoden und Strategien.

Oldehinkel knüpft mit ihrer Studie an eine drei Jahre alte Arbeit von Neal Young an, der wissenschaftliche Publikationen rein ökonomisch analysiert hatte: Demnach hat eine Veröffentlichung die Aufgabe, eine Ware (Wissen) vom Produzenten (Forscher) zum Verbraucher (u.a. andere Wissenschaftler oder Geldgeber) zu transportieren. Dabei ist in den letzten Jahrzehnten ein immer größeres Ungleichgewicht zwischen dem erzeugten Wissen und der limitierten Anzahl von Magazinen mit großer Außenwirkung entstanden. Bereits 1991 hatte Leslie Roberts in einem vielbeachteten Artikel ("The Rush to Publish") im Fachmagazin "Science" die beschleunigte und zunehmend unkritische Annahme von wissenschaftlichen Publikationen bemängelt.

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Quelle: "The Role of Group Dynamics in Scientific Inconsistencies: A Case Study of a Research Consortium", Judith Rosmalen und Albertine Oldehinkel; PLoS Med, doi:10.1371/journal.pmed.1001143


 

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