Warum hohe Bäume nur mittelgroße Blätter haben

Rechenmodell liefert biophysikalische Begründung für die Abwesenheit riesiger und winziger Blätter an hohen Bäumen - Nährstoffe können bei großen Stammhöhen sonst nicht effizient durch den Baum gepumpt werden
Sehr hohe Bäume können sich weder mit sehr kleinen noch mit sehr großen Blättern ausreichend versorgen.
Sehr hohe Bäume können sich weder mit sehr kleinen noch mit sehr großen Blättern ausreichend versorgen.
© D. Saße
Boston (USA) - Klein wie ein Reiskorn oder auch meterlang können Blätter von Bäumen sein – allerdings nur bei kleinen und mittelgroßen Arten, wie US-Forscher jetzt bestätigen. Bei allen sehr hohen Bäumen jedoch, vom Riesenlebensbaum bis zum Rieseneukalyptus, sind die Blätter zehn bis zwanzig Zentimeter groß. Diese lange bekannte Tatsache konnten die Biologen nun erstmals theoretisch erklären. Der Grund liegt demnach in der Biophysik, die den Transport von Nährstoffen aus der Photosynthese bestimmt: von den Blättern über den Stamm bis in die Wurzeln. Die Forscher stellten eine Formel auf, die die Konzentrationsunterschiede und die Fließwiderstände im Baum berücksichtigt – ein Vergleich der Berechnungen mit 1.925 Baumarten bestätigte die Theorie. Demnach machen winzige oder sehr große Blätter für hohe Bäume physikalisch keinen Sinn, schreiben die Forscher im Fachblatt „Physical Review Letters“. Ihr Rechenmodell liefert obendrein eine Erklärung, weshalb Bäume im Allgemeinen nie mehr als hundert Meter Höhe erreichen und in trockenen Regionen klein bleiben.

„Die höchsten Bäumen wachsen nur an den geeignetsten Standorten, mit häufigem Nebel und Regen, hoher Feuchtigkeit und Schutz vor Wind“, schreiben Biophysiker Kaare H. Jensen von der Harvard University und Pflanzenbiologe Maciej A. Zwieniecki von der University of California, Davis. Weil also die Standortbedingungen dem Blattwachstum kaum äußere Grenzen setzten, seien es vermutlich Ursachen im Gefäßsystem des Baums, die die Blattgröße mit steigender Höhe begrenzen. Mit diesem Ansatz entwickelten die Forscher eine Formel, die den typischen Baum in drei grobe Abschnitte teilt: das Blattwerk als Quelle, den Stamm als Transportweg sowie die sogenannte Senke – Wurzeln, Früchte und andere Bereiche für das Wachstum und das Energiespeichern. Dieses dreiteilige System ist durch einen gemeinsamen Transportweg verbunden, das Phloem. In seinem Netzwerk aus Röhrenzellen bewegt sich in wässriger Lösung unter anderem der Energiespeicher Zucker, den die Blätter per Photosynthese erzeugt haben. Für alle drei Bereiche ihres Modells bestimmte das Team nun detailliert den Widerstand, den die Moleküle beim Durchwandern des Systems zu überwinden hat, meist abhängig von geometrischen Faktoren. Der osmotische Druckunterschied zwischen Quelle und Senke treibt die Moleküle voran: Da in den Blättern die Zuckerkonzentration deutlich höher ist als in den Wurzeln, zieht es den Zucker mit einem Teil der Flüssigkeit nach unten. So ergab sich eine Formel, die die charakteristische Transportgeschwindigkeit des Zuckers auf Werte wie Länge der Blätter, Höhe des Stamms und Radius des Phloem-Kanals zurückführt.

Je länger nun das Blatt, desto mehr der Zuckermoleküle gelangen über Membranen in die Kanäle des Phloems und die „Fließgeschwindigkeit“ steigt, so die Forscher, bis sie schließlich die Äste und den Stamm erreichen. Im Stamm lasse sich das Phloem als einzelne Röhre betrachten, in der sich die zähe Flüssigkeit gegen einen bestimmten hydraulischen Widerstand bewegt. Je dicker der Stamm und damit die hypothetische „Röhre“, desto besser die Transportgeschwindigkeit. Allerdings nur bis zu einem bestimmten Radius, mehr Tempo lassen die Phloemzellen offenbar nicht zu. Andererseits gilt: Der Stammwiderstand ist umso höher, je größer der Baum ist.

Demnach gibt es einen Punkt, so Jensen und Zwieniecki, ab welchem größere Blätter das effiziente Abfließen durch den Stamm nicht weiter verbessern. Sehr kleine Blätter allerdings liefern nicht genügend Zustrom, um gegen den hohen Stammwiderstand in hohen Bäumen anzukommen. Die Formel lieferte den Forschern entsprechend Unter- und Obergrenzen für die Blattgröße, abhängig von der Stammhöhe. Als sie diese Vorhersagen mit den tatsächlichen Werten von 1.925 Baumarten aus 327 Gattungen und 93 Pflanzenfamilien verglichen, bestätigte sich ihre Theorie.

Außerdem zeigte sich bei Ober- und Untergrenze ein Maximalwert für die allgemeine Baumgröße, schreiben die Forscher: „Beide Grenzen treffen sich bei einer Höhe von 100 Metern, sehr nahe an der maximalen je gemessen Höhe bedecktsamiger Bäume. Das liefert eine biophysikalische Interpretation der absoluten Obergrenze für Baumhöhen.“ Gleichzeitig bietet die neue Theorie eine Erklärung, weshalb die höchsten Bäume stets in günstigsten klimatischen Bedingungen wie tropischen Regenwäldern oder gemäßigten Feuchtwäldern wachsen. Und auch der Kleinwuchs in Trockengebieten wäre nachvollziehbar: Hitze und Sonneneinstrahlung zwingt die Bäume zu kurzen Blättern, die aber nicht genügend Fließgeschwindigkeit liefern, um die Flüssigkeit durch hohe Stämme zu treiben, schreibt das Team: „In feindlichem Klima kann die Baumhöhe deshalb durch die Blattlänge begrenzt sein.“

Zusatzinformation:
Die Vielfalt der Blattformen ist wie immer in der Biologie durch innere Faktoren der Pflanze wie durch äußere Bedingungen gesteuert. Zu den äußeren, extrinsischen Faktoren gehören Umweltbedingungen wie Wind, Temperatur, Feuchtigkeit und Verfügbarkeit von Wasser, Nährstoffe und Sonneneinstrahlung, aber auch die physikalischen Gesetze des Planeten: die Stärke von Schwerkraft, Oberflächenspannung oder die Stärke von Molekülbindungen. Die intrinsischen Faktoren sind pflanzeneigene Eigenschaften, von ihrer Größe und Struktur bis zu Zellmembranstärke und Stoffwechselaktivität. So können große Blätter mehr Sonne einfangen, sind aber bei starken Winden sehr anfällig, während kleine Blätter in sonnenintensiven, trockenen Regionen weniger Feuchtigkeit abgeben. Das Phloem, ein Gefäßsystem aus einer langen Abfolge röhrenförmiger Zellen, zieht sich als Netzwerk durch die ganze Pflanze. Seine sogenannten Siebröhrenglieder befördern vor allem organische Nährstoffe wie Zuckermoleküle und Aminosäuren – meist als Produkte der Photosynthese aus den Blättern in Richtung Verbraucher oder Speicher. Ein zweites Netzwerk, das Xylem, transportiert hingegen Wasser und anorganische Nährstoffe wie Salze über die Wurzeln aus dem Boden in den ganzen Baum.

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