Warum Zellen gären statt atmen

„Was wir entdeckt haben, lässt sich damit vergleichen, wie sich die Energieerzeugung von Kohle- und Atomkraftwerken voneinander unterscheiden“, sagt Terence Hwa von der University of California in San Diego, der Leiter des Forscherteams. „Kohlekraftwerke produzieren Energie weniger effizient, sind aber wesentlich billiger zu bauen.“ Zellen von Bakterien, Pilzen oder Tieren, die ihre Energie sowohl durch Gärung als auch durch Atmung erzeugen können, stellen eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf. Der vollständige Zuckerabbau durch Atmung liefert zwar sehr viel Energie. Allerdings fallen auch höhere Kosten bei der Herstellung der dazu nötigen Enzyme und anderer Proteine an. Insbesondere werden viele Ribosomen – die Proteinfabriken der Zelle – gebraucht. Das verlangsamt die Zellteilungsrate. Steht ausreichend „Brennstoff“ in Form von Zucker zur Verfügung, ist es bei starker Vermehrung vorteilhafter, Energie durch Gärung zu gewinnen – auch wenn Sauerstoff vorhanden ist. Dagegen sinkt bei Zuckermangel die Teilungsrate ohnehin, so dass weniger Ribosomen für das Wachstum benötigt werden. Es stehen dann mehr Ribosomen bereit, um Enzyme für die Atmung zu produzieren.
Die Entscheidung für eine der beiden Formen der Energiegewinnung hängt also nicht nur davon ab, wie viel Zucker vorhanden ist. „Wir haben in dieser Arbeit gezeigt, dass der Aufwand zur Herstellung des energieerzeugenden Apparats ebenfalls wichtig ist. Für schnell wachsende Zellen macht das den größten Kostenfaktor aus“, sagt Hwa. Am Beispiel von E. coli-Bakterien berechneten die Forscher erstmals den energetischen Aufwand bei der Produktion von Gärungs- und Atmungsenzymen mittels quantitativer Massenspektrometrie. Dabei stellte sich heraus, dass die Herstellungskosten der Enzyme und anderer Proteine, die für den Prozess der Atmung benötigt werden, doppelt so hoch sind wie die für die Gärung.
Es gelang den Forschern sogar, durch ein mathematisches Modell vorherzusagen, welcher Anteil an Zucker bei unterschiedlichen Wachstumsbedingungen nur teilweise vergoren statt vollständig veratmet wird. Für die eukaryotischen Zellen der Pilze und Tiere wäre in der Berechnung zusätzlich die Produktion einer ausreichenden Zahl an Mitochondrien zu berücksichtigen, in denen die Reaktionen der Atmung ablaufen. Inwieweit diese Erklärung des „verschwenderischen Stoffwechsels“ bei der Gärung auch auf Krebszellen übertragbar ist, müssen weitere Untersuchungen prüfen. Krebszellen teilen sich schneller als normale Zellen und haben einen stark erhöhten Zuckerverbrauch durch Gärung. Daher besteht bereits eine Strategie zur Krebstherapie darin, den Ablauf der Gärung durch Hemmstoffe zu blockieren und dadurch Energiemangel im Tumor zu erzeugen.