Warum Masern so ansteckend sind

Die Viren nutzen den optimalen Weg, um ihren bisherigen Wirt zu verlassen und neue zu infizieren
Typischer Ausschlag (Exanthem) bei einem an Masern erkrankten Kind
Typischer Ausschlag (Exanthem) bei einem an Masern erkrankten Kind
© Dr. Heinz F. Eichenwald, U.S. Centers for Disease Control and Prevention
Rochester (USA)/Langen - Masernviren vermehren sich zunächst in Immunzellen der Atemwege und breiten sich dann im ganzen Körper aus. Amerikanische und deutsche Mediziner haben jetzt entdeckt, wie die Erreger im weiteren Verlauf der Krankheit Zellen der Luftröhre und Lunge infizieren: Die Viren nutzen das Oberflächenprotein Nectin-4 als Andockstelle, um in diese Zellen einzudringen und sich darin zu vermehren. So können sie durch Husten in großen Mengen wieder freigesetzt werden, was das ungewöhnlich hohe Ansteckungsrisiko erklärt, schreiben die Forscher im Fachjournal "Nature". Auch Krebszellen einiger Tumorarten bilden Nectin-4 und können deshalb von Masernviren befallen werden. Das ermöglicht den Einsatz abgeschwächter Viren zur Zerstörung von Tumoren als alternative Behandlungsform oder in Kombination mit Chemotherapie und Bestrahlung.

"Das Masernvirus hat eine Strategie von diabolischer Eleganz entwickelt. Es verlässt seinen Wirt genau an dem Ort, der die Übertragung begünstigt", sagt Roberto Cattaneo von der Mayo Clinic Rochester. Zusammen mit Michael Mühlebach vom Paul-Ehrlich-Institut in Langen und weiteren Kollegen untersuchte er, welche Zellen die Viren während einer Infektion befallen. Es war bekannt, dass die Vermehrung der Erreger zunächst in Immunzellen der Atemwege und Lymphknoten erfolgt. Unklar war, wie die Viren mit der Atemluft wieder aus dem Körper freigesetzt werden.

In Experimenten mit menschlichen Zellkulturen und Affen konnten die Forscher nun zeigen, dass sich die Masernviren gezielt an Schleimhautzellen der Luftröhre und Lungen anheften. Für diesen Kontakt benötigen sie das Oberflächenprotein Nectin-4. Veränderte Viren, die diesen Rezeptor nicht mehr erkennen konnten, waren auch nicht mehr in der Lage, den Wirt über die Atemwege zu verlassen. Umgekehrt waren menschliche Zellen, deren Nectin-4-Produktion blockiert wurde, vor einer Infektion geschützt. Im Normalfall dagegen erzeugen Husten und Niesen eines Erkrankten virenhaltige Aerosole, durch die eine höchst effektive Übertragung gesichert ist.

Die neuen Ergebnisse haben auch noch eine ganz andere Bedeutung. Sie könnten dazu beitragen, den Einsatz von Masernviren gegen Krebs zu verbessern. Denn auch Krebszellen von Lungen-, Brust- und Eierstocktumoren bilden große Mengen an Nectin-4 und bieten den Viren damit eine Eintrittspforte. Abgeschwächte Masernviren, die keine Erkrankung mehr auslösen, werden schon jetzt versuchsweise zur Krebstherapie eingesetzt - beispielsweise in Studien zur Behandlung von Eierstockkrebs.

Obwohl es eine wirksame Impfung gibt, erkranken nach Angaben der Autoren weltweit noch immer mehr als 10 Millionen Kinder jährlich an Masern, 120.000 sterben daran. Die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut empfiehlt Masern-Impfungen zwischen dem vollendeten 11. und 14. Lebensmonat und im Alter von 15 bis 23 Monaten. Das Ziel, die Masern ganz auszurotten, ist noch lange nicht erreicht.

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Quelle: "Adherens junction protein nectin-4 is the epithelial receptor for measles virus", Michael D. Mühlebach et al.; Nature, doi: 10.1038/nature10639


 

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