Warum Krakententakel sich nicht verknoten

Eine bisher unbekannte Substanz auf der Haut verhindert, dass die Saugnäpfe an den eigenen Armen haften bleiben
Ein Krake untersucht seinen eigenen frisch amputierten Arm.
Ein Krake untersucht seinen eigenen frisch amputierten Arm.
© Current Biology, Nesher et al.
Jerusalem (Isreal) - Die vielen Arme eines Kraken sind über und über mit Saugnäpfen besetzt, mit denen die Meerestiere ihre Beute packen und festhalten. Es grenzt allerdings beinahe an ein Wunder, dass die Fangarme der Kopffüßer sich nicht ständig an sich selbst festsaugen oder gar miteinander verknoten. Israelische Forscher haben nun herausgefunden, wie das offenbar verhindert wird: Vermutlich ist es eine chemische Substanz in der Haut der Kraken, die den Anhaftreflex der Sauger unterdrückt und damit ein Festsaugen unterbindet, berichten sie im Fachblatt „Current Biology“. Um welche Substanz genau es sich handelt, wissen sie allerdings noch nicht.

„Wir waren überrascht, dass noch niemand vor uns dieses sehr stabile und einfach zu entdeckende Phänomen bemerkt hat“, sagt Guy Levy, Neurobiologe an der Hebräischen Universität von Jerusalem und einer der beiden Erstautoren. „Und wir waren gänzlich überrascht davon, wie genial und einfach Kraken dieses potenziell sehr komplizierte Problem lösen.“ Levy und seine Kollegen beschäftigen sich bereits seit Jahren mit Kraken, insbesondere damit, wie die Weichtiere ihre Körperbewegungen kontrollieren. Der Gewöhnliche oder Gemeine Krake (Octopus vulgaris) hat acht Fangarme, die zum Teil bis zu einem Meter lang werden können und jeweils mit zwei Reihen von Saugnäpfen besetzt sind. Diese Arme setzen die Kopffüßer ein, um Beute zu ergreifen, festzuhalten und zum Maul zu befördern. Der Gemeine Krake macht übrigens auch vor Artgenossen nicht Halt, ist also kannibalisch.

Für die aktuelle Studie hatten die Neurobiologen eine Reihe unterschiedlicher Versuche durchgeführt. Sie beobachteten dabei nicht nur das Verhalten von Kraken, sondern auch das von einzelnen amputierten Armen, die auch nach der Amputation noch für eine Weile autark lebendig bleiben. So stellten die Forscher etwa fest, dass sich die Saugnäpfe eines amputierten Armes nie an Krakenhaut hefteten – weder bei anderen amputierten Krakenarmen noch bei Petrischalen, die mit Krakenhaut oder mit einem Extrakt aus Krakenhaut überzogen waren. Am reinen Kunststoff der Petrischale dagegen saugten sich benachbarte Saugnäpfe sehr wohl fest. Ebenso hafteten Saugnäpfe auch an der Wunde der Amputationsstelle oder auch an gehäuteten Armen.

Die Ergebnisse zeigen, so schreiben die Forscher: Die Haut des Kraken verhindert wie in einer Art Reflex, dass sich Krakenarme aneinander oder an sich selbst festsaugen. Da dies auch noch bei einem aus Krakenhaut gewonnen Extrakt funktioniert, gehen die Biologen von einem spezifischen chemischen Signal aus. Diese Substanz in der Haut der Kraken verhindert das Festsaugen wie es etwa bei Beute passiert. Chemorezeptoren in jedem einzelnen Saugnapf sind sehr wahrscheinlich für diesen Mechanismus verantwortlich. Die aktive Substanz konnten die Forscher allerdings noch nicht identifizieren. Sie halten aber für denkbar, dass sich ein vergleichbarer Mechanismus auch für den Einsatz an speziellen flexiblen Robotern und für deren Steuerung eignen könnte.

Darüber hinaus stellte sich heraus, dass dieser automatische Mechanismus offenbar auch übergangen werden kann. Denn lebende Kraken zeigten sich durchaus in der Lage, die eigenen Arme von denen von Artgenossen zu unterscheiden. Und das war sogar bei amputierten Gliedmaßen der Fall: Stammte ein angebotener Arm nicht von ihnen selbst, griffen die kannibalischen Tiere deutlich häufiger nach ihm. Sie behandelten ihn eher wie eine Beute und nahmen ihn auch ins Maul. Bei den ehemals eigenen Armen zeigten sie sich insgesamt deutlich zurückhaltender und taten das weitaus seltener. Kraken können den beobachteten Mechanismus demnach auch außer Kraft setzen, vermutlich mit Hilfe einer kognitiven Leistung.

Bei knochen- und gelenklosen Tieren wie dem Kraken unterscheidet sich die Körperwahrnehmung vermutlich deutlich von der bei Wirbeltieren. Ist ein Skelett im Bewegungsapparat eines Tieres vorhanden, so ist die Bewegungsfreiheit von Gliedmaßen limitiert, weil sie an bestimmten Punkten an feste Grenzen stoßen. So sind Knochen feste Elemente und auch Gelenke sind nur bis zu einem gewissen Grad flexibel – bei manchen mehr, bei manchen weniger. Da es also eine relativ absehbare Anzahl von Möglichkeiten zur Bewegung gibt, ist sowohl die Selbstwahrnehmung als auch die Kontrolle der Bewegungen über höhere kognitive Prozesse machbar. „Unser System für die Bewegungskontrolle basiert auf einer recht fixierten Repräsentation der motorischen und sensorischen Systeme im Gehirn“, erläutert Binyamin Hochner, Levys Kollege und Seniorautor der Studie. Diese Systeme sind sozusagen in einer Art Karte angelegt, die Koordinaten für die einzelnen Körperbereiche haben.

Bei Kraken ist das anders: Die Arme der Weichtiere besitzen im Prinzip eine unendliche Zahl an Bewegungsmöglichkeiten, weshalb die Berechnung der Selbstwahrnehmung über das Gehirn viel zu komplex sein dürfte. „Solche Karten zu nutzen wäre außerordentlich schwierig für den Kraken, vielleicht sogar unmöglich“, sagt Hochner. Versuche legen nahe, dass den Tieren nicht klar ist, wo genau sich sämtliche Arme befinden. Daher müssen andere Mechanismen vorhanden sein, um zu verhindern, dass sich die Arme ständig an sich selbst festsaugen.

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