Viren aus dem Wasser können Hirnfunktionen beeinflussen

Ein in der Umwelt verbreitetes, bisher als harmlos angesehenes Chlorovirus kann Menschen infizieren, was sich auf kognitive Fähigkeiten auswirken könnte
Wie viele andere Virusarten hat das Chlorovirus die Gestalt eines Icosaeders.
Wie viele andere Virusarten hat das Chlorovirus die Gestalt eines Icosaeders.
© Shutterstock, Bild 128134967
Lincoln (USA) - Chloroviren kommen verbreitet im Süßwasser vor und waren bisher lediglich als Parasiten von Algen bekannt. Umso überraschter waren amerikanische Biologen, als sie in der Rachenschleimhaut gesunder Erwachsener DNA einer Chlorovirus-Art entdeckten. Die Infizierten schnitten in kognitiven Tests bei der Verarbeitung visueller Signale schlechter ab als Testpersonen ohne Chloroviren. Experimentell infizierte Mäuse zeigten geringere Orientierungsleistungen und veränderte Genaktivitäten in einer Hirnregion, in der Lern- und Gedächtnisprozesse ablaufen, berichten die Forscher im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)“. Sie vermuten, dass die Virusinfektion Immunreaktionen auslöst, die bestimmte Funktionen von Hirnzellen beeinträchtigen.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Viren aus der Umwelt, die bisher nicht als infektiös für Menschen galten, biologische Effekte auslösen können“, schreiben James Van Etten von der University of Nebraska in Lincoln und seine Kollegen. Das Chlorovirus ATCV-1 befällt Grünalgen und sind noch nie in tierischen oder menschlichen Zellen nachgewiesen worden. Die Forscher um Van Etten analysierten im Rahmen einer ganz anderen Studie DNA aus Rachenabstrichen. Als Zufallsbefund entdeckten sie dabei Chlorovirus-DNA bei 40 von 92 Testpersonen. Diese Menschen hatten keine Krankheitsanzeichen und unterschieden sich in Altersstruktur, Lebensstandard, Herkunftsort und Tabakkonsum nicht von der Gruppe der anderen Probanden. Allerdings erzielten sie in einigen kognitiven Tests, die für die ursprüngliche Studie absolviert wurden, etwas schlechtere Ergebnisse.

Durch Tierversuche prüften die Forscher dann, ob solche Viren wirklich Hirnfunktionen beeinflussen können. Dazu infizierten sie Mäuse über die Nahrung mit ATCV-1-Viren. Nach einigen Monaten erreichten diese Tiere in Gedächtnis- und Orientierungstests tatsächlich geringere Leistungen als nicht-infizierte Mäuse. Außerdem zeigten Gene von Zellen in der Hirnregion des Hippocampus veränderte Aktivitäten. Davon betroffen waren auch Gene, die für Lernprozesse und die Immunabwehr von Bedeutung sind. Möglicherweise, so die Autoren, lösen die Viren Immunreaktionen aus, die die Produktion entzündungsfördernder Botenstoffe, sogenannter Cytokine, verstärken. Die Folge könnten gestörte Hirnfunktionen und Verhaltensänderungen sein.

Nach Angaben der Forscher liegt der Gehalt von Chloroviren im Süßwasser weltweit meist zwischen 1 und 100 pro Milliliter, er könne aber auch auf mehrere tausend pro Milliliter ansteigen. Das Erbgut der vergleichsweise großen Viren besteht aus doppelsträngiger DNA. Sie trägt eine ungewöhnlich große Zahl an Genen, die für bis zu 410 Proteine kodieren.

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