Verkehrte Welt in Sachen Geschlechtsteile

Bei brasilianischen Höhleninsekten haben die Weibchen den Penis
Der Penis des Weibchens von Neotrogla aurora
Der Penis des Weibchens von Neotrogla aurora
© Current Biology, Yoshizawa et al.
Sapporo (Japan) - Jungs haben einen Penis – Mädchen eine Vagina. Das ist nicht immer so: Bei brasilianischen Höhleninsekten der Gattung Neotrogla ist alles etwas anders, hat ein kleines internationales Forscherteam entdeckt. Hier besitzen die Weibchen ein penisartiges Organ, das sogenannte Gynosom, während die Männchen eine Art Vagina haben. Beim Geschlechtsakt, der mehrere Tage andauert, empfängt dennoch das Weibchen über sein Gynosom den Samen des Männchens. Zusätzlich enthält das übertragene Ejakulat vermutlich auch noch nahrhafte Bestandteile, berichten die Biologen im Fachblatt „Current Biology“. Sie nehmen daher an, dass die besondere Evolution der Genitalen bei diesen Insekten von der umgekehrten sexuellen Selektion angetrieben worden sein könnte. Denn hier konkurrieren eher die Weibchen um das mit dem Samenpaket einhergehenden Geschenk des Männchens und weniger die Männchen um ein Weibchen. Bei Tieren mit umgekehrten Geschlechter-Rollen sei bislang nichts Vergleichbares bekannt, schreiben die Forscher.

„Obwohl die Umkehrung der Geschlechterrollen bei einigen unterschiedlichen Tieren identifiziert wurde, ist Neotrogla das einzige Beispiel, in dem das übertragende Organ auch umgekehrt ist“, sagt Kazunori Yoshizawa von der japanischen Hokkaido Universität, Entomologe und Erstautor der Veröffentlichung. Gemeinsam mit Kollegen aus Brasilien und der Schweiz hatten Yoshizawa und ein weiterer japanischer Biologe die ungewöhnliche Ausstattung mit Geschlechtsorganen bei insgesamt vier unterschiedlichen aber verwandten Arten brasilianischer Höhleninsekten entdeckt und näher untersucht. Aufgefallen waren die penisartigen Organe der Weibchen dem Schweizer Charles Lienhard, worauf die Forscher nähere Untersuchungen vornahmen. Dazu beobachteten sie Paarungsverhalten und Geschlechtsakt der Insekten.

Tatsächlich führen die Weibchen ihr Gynosom in die Männchen ein und empfangen von ihnen eine Kapsel mit dem Samen. Damit versorgen die Männchen die Weibchen zusätzlich zu dem Samen auch mit einem nahrhaften Geschenk. So lohnt es sich für die Weibchen besonders, um die Männchen zu konkurrieren und auch, sich häufiger zu paaren. Die Männchen sind bei der Partnerwahl übrigens sehr wählerisch darin, wem sie ihr wertvolles Gut zukommen lassen. Der Paarungsakt selbst dauert dann beeindruckende 40 bis 70 Stunden und die Weibchen halten verdammt fest an ihrem Partner: Einmal im Männchen, entfaltet das Gynosom zahlreiche Dornen, so dass die beiden Insekten währenddessen nicht voneinander zu trennen sind – eher reißt der Hinterleib des Männchens ab, mussten die Biologen herausfinden.

In weiteren Untersuchungen wollen sie Hinweise darauf finden, wie die Evolution der ungewöhnlichen Geschlechterrollen vonstatten gegangen sein könnte. Es sei wichtig herauszufinden, so Yoshitaka Kamimura von der Keio Universiät, warum sich nur bei dieser Gattung ein ausgearbeiteter weiblicher Penis entwickelte. Um diesem Ziel näher zu kommen, wollen die Biologen zunächst eine stabile Population der Insekten unter Laborbedingungen etablieren. Dann können sie weiterführende Studien vornehmen, etwa Verhaltensversuche durchführen und die Physiologie der Insekten untersuchen.

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