Typische Computerspieler sind untypisch

Das Klischee vom blassen übergewichtigen männlichen Teenager vor dem Bildschirm liegt bei Online-Gamern komplett daneben: Ältere und Frauen bestimmen das Rollenspiel "EverQuest II"
Los Angeles (USA) - In der Internet-Welt ist wenig, wie es scheint - und auch im echten Leben entsprechen Online-Rollenspieler nicht den Klischees. Eine US-Studie an 7000 Spielern des Multiplayer-Online-Abenteuers "EverQuest II" zeigt etwa, dass die regelmäßigen und passionierten Spieler eher über 30 Jahre alt sind und mit steigendem Alter auch mehr Zeit im Game verbringen. Frauen machen zwar nur ein Fünftel der Spielergemeinde aus, doch spielen sie deutlich länger als die Männer. Obendrein zeigte eine Studie, dass die ernsthaften Gamer durchaus genauso gesund sind und regelmäßig Sport treiben wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Das Klischee vom übergewichtigen Fast-Food-Teenager vor dem Bildschirm trifft offenbar mehr auf das Fernsehen oder eventuell andere Online-Spiele zu. Die Forscher hatten erstmals eine Online-Befragung der Spieler mit den Daten eines großen Spielebetreibers kombiniert, berichten sie im "Journal of Computer-Mediated Communication". Die Studie und ihre Ergebnisse dürften nicht nur für Spielentwickler in den USA interessant sein, sondern allen Online-Anbietern und -Portalbetreibern helfen, ihre Kunden besser einzuschätzen. "EverQuest II" ist eines der erfolgreichsten Online-Spiele auf dem nordamerikanischen Markt und umfasst zusammen mit "World of Warcraft" und anderen, ähnlich strukturierten Fantasy-Rollenspielen 85 Prozent aller Multiplayer-Onlinespiele.

"Die Hardcore-Spieler sind Frauen - sie spielen länger und sie geben seltener auf", erklärt Dmitri Williams, Hauptautor und Professor für Kommunikation an der University of Southern California. Gemeinsam mit Forschern an sieben Universitäten in den USA und Kanada hatte Williams 7000 Spieler von "EverQuest II" befragt, nach ihrem Verhalten abseits des Spiels, ihren Motivationen und ihrer psychischen und körperlichen Gesundheit. Als Belohnung für die Teilnahme bekamen sie ein virtuelles Objekt für ihre Inventarliste, das wegen seiner Seltenheit und Kampfstärke im Spiel begehrt war. Als zweite Datenquelle analysierte das Team die Informationen des Betreibers des Spieleportals, Sony Online Entertainment. Dieser lieferte Zahlen zum Verhalten der Spieler während des Spiels. Da heute ein beachtlicher Teil der Menschen mit Internet-Zugang weltweit an Online-Games teilnehmen, suchten die Forscher nach Antworten auf folgende Fragen: Welche Beschäftigung ersetzt das Online-Spielen? Welche Folgen hat es für die Gesundheit? Wie wirkt es sich auf das Sozialverhalten aus? Und wie stehen die Spieler im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung? Bisher gebe es viele Stereotype und Vorurteile, doch nur wenige Studien zu Online-Spielern, schreiben die Forscher. Und diese hätten zumeist nur Einzelspieler in einer Laborsituation und deren eigene Einschätzungen untersucht.

Fazit der aktuellen Studie: Rund 26 Stunden pro Woche verbringen die Spieler im Schnitt in ihrer Online-Welt. Mehr als 36 Prozent liegen im Alter zwischen 30 und 39 Jahren, das sind mehr als Teenager und Collegestudenten zusammengenommen (12-22 Jahre, knapp 17 Prozent) oder die jungen Erwachsenen (23-29 Jahre, rund 26 Prozent). Dabei waren nur knapp 20 Prozent der Spieler weiblich, im Gegensatz zur Hälfte der Gesamtbevölkerung, und rund zwei Drittel aller verfügten über eine höhere Ausbildung, ab College-Niveau. Obendrein bezeichnen sich überdurchschnittlich viele Spieler als nicht religiös (37 Prozent zu 14 Prozent Gesamtbevölkerung), und die anderen neigen seltener zu den großen, etablierten Religionsgruppen. Gegen das Stereotyp laufen auch die Daten zur Gesundheit: Nach eigenen Angaben betreiben die Spieler ein- bis zweimal wöchentlich intensiven Sport - mehr als der Durchschnittsamerikaner. Rechnet man eine leichte Schönung der Teilnehmerangaben herausrechnet, sind die Online-Spieler so fit wie der Schnitt der Bevölkerung - ein Unterschied zu passionierten Fernsehguckern, die laut Studien dicker und weniger fit sind als der Schnitt. Allerdings berichteten die Studienteilnehmer eine etwas erhöhte Neigung zur Depression und 20 Prozent mehr Abhängigkeit von Alkohol, Nikotin oder anderen Substanzen. Dafür waren sie etwas weniger ängstlich als der Durchschnitt. Für die Forscher ist klar, dass ihre Ergebnisse jetzt ganz neue Fragen aufwerfen und weitere Untersuchungen nötig - und vielversprechend - sind.

University of Southern California, Journal of Computer-Mediated Communication
Quelle: "Who plays, how much, and why? Debunking the stereotypical gamer profile", Dmitri Williams, Nick Yee, Scott E. Caplan; Journal of Computer-Mediated Communication, Volume 13, Issue 4, 2008.Pages: 993-1018
DOI: 10.1111/j.1083-6101.2008.00428.x


 

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