Tranquilizer und Demenz-Risiko

Je länger ältere Menschen mit Benzodiazepinen behandelt werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie später an Alzheimer erkranken
Eine länger dauernde Einnahme von Benzodiazepinen könnte das Demenzrisiko erhöhen.
Eine länger dauernde Einnahme von Benzodiazepinen könnte das Demenzrisiko erhöhen.
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Bordeaux (Frankreich) - Psychopharmaka aus der Gruppe der Tranquilizer dienen zur Therapie von Angstzuständen und Schlafstörungen. Zu den bekannten Nebenwirkungen zählt eine vorübergehende Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens und anderer kognitiver Leistungen. Jetzt bestätigt eine große französisch-kanadische Langzeitstudie die Befürchtung, dass solche Mittel bei längerer Einnahme auch bleibende Hirnschäden verursachen und das Risiko einer Alzheimer-Demenz erhöhen könnten. Auch wenn eine Ursache-Wirkung-Beziehung noch nicht nachgewiesen ist, sollten diese Tranquilizer bei Patienten jeden Alters nur für möglichst kurze Dauer eingesetzt werden, schreiben die Forscher im „British Medical Journal”. Zu den Benzodiazepinen zählen Wirkstoffe wie Diazepam (Valium), Diclazepam, Alprazolam oder Lorazepam.

„Benzodiazepine sind zweifellos wichtige Hilfsmittel, um Angststörungen und eine vorübergehende Schlaflosigkeit zu behandeln; doch die Therapie sollte nicht länger als drei Monate dauern“, warnen Sophie Billioti de Gage von der Université de Bordeaux und ihre Kollegen. Aufgrund ihrer Ergebnisse halten sie es für wahrscheinlich, dass diese Psychopharmaka mit der Zeit Hirnzellen so schädigen könnten, dass kognitive Hirnleistungen im Alter schneller nachlassen. Zurzeit sei aber auch eine alternative Erklärung nicht ganz auszuschließen: Eine Alzheimer-Demenz im Frühstadium könnte die Ursache für Angstzustände und Schlafstörungen der Probanden gewesen sein, die deshalb mit Benzodiazepinen behandelt wurden.

Die Studie erfasste Daten von 1 796 über 66-jährigen Menschen, die an Alzheimer erkrankt waren und bereits seit mindestens sechs Jahren an einer kanadischen Langzeitstudie teilnahmen. Als Kontrolle dienten 7 184 nach Alter und Geschlecht passend ausgewählte gesunde Personen. Diejenigen, die vor der Demenzdiagnose mindestens drei Monate lang mit einem Benzodiazepin behandelt worden waren, hatten ein um 43 bis 51 Prozent höheres Risiko, an Alzheimer zu erkranken als die anderen. Dieser Zusammenhang war um so stärker, je länger die Medikamenteneinnahme dauerte und je länger die Halbwertszeit, also die Wirkdauer, des jeweiligen Mittels war. Als mögliche zusätzliche Einflussfaktoren wurden unter anderem Herz-Kreislauferkrankungen, Depressionen, Angststörungen und Schlaflosigkeit bei der statistischen Auswertung berücksichtigt.

Es sei zwar bereits gut untersucht, dass Benzodiazepine die Gedächtnisleistung beeinträchtigen, schreiben die Autoren. Bis jetzt gäbe es aber noch keine Erklärung dafür, durch welchen Mechanismus diese Behandlung zu einer Demenz führen könnte. Um diese Frage zu klären, seien Experimente mit Tieren oder Zellkulturen nötig. Doch schon jetzt sollten Ärzte vor einem Einsatz von Benzodiazepinen Nutzen und Risiken besonders sorgfältig abwägen und solche Medikamente nur für kurze Dauer verordnen – und diese Empfehlung gelte nicht nur für alte, sondern auch für jüngere Patienten.

In einem begleitenden Kommentar fordern Kristine Yaffe von der University of California in San Francisco und ihre Mitautoren, generell Nebenwirkungen von Medikamenten bei alten Menschen im Hinblick auf eine Schädigung kognitiver Fähigkeiten besser zu dokumentieren. Oft würden diesen Patienten zur Behandlung verschiedener chronischer Erkrankungen dauerhaft mehrere Mittel gleichzeitig verschrieben, die in der jeweiligen Kombination auch Hirnfunktionen beeinträchtigen könnten. Einerseits sei Diazepam zwar in die „Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation“ aufgenommen. Andererseits zähle die amerikanische geriatrische Gesellschaft seit 2012 die Benzodiazepine zu den für ältere Menschen ungeeigneten Medikamenten.

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