Tanzende Kügelchen

Dymische Selbstorganisation ermöglicht Entwicklung neuartiger, aktiver Materialien
Unter kurzen Spannungspulsen ordnen sich winzige Plastikkügelchen kontrolliert zu symmetrischen Mustern an.
Unter kurzen Spannungspulsen ordnen sich winzige Plastikkügelchen kontrolliert zu symmetrischen Mustern an.
© A. Sokolov et al., ANL
Lemont (USA) - Gleiche elektrische Ladungen stoßen sich ab. Diesen einfachen physikalische Effekt nutzten nun amerikanische Physiker, um einen neuen Typ dynamischer Materialien zu fertigen. Mit kurzen, wohl definierten Spannungspulsen brachten sie winzige Plastikkügelchen in einer Flüssigkeit dazu, immer wieder spezielle symmetrische Muster zu bilden. Wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ berichten, ließ sich diese selbstorganisierte Anordnung der Kügelchen durch die Abfolge der Spannungspulse gezielt beeinflussen.

Für ihr ungewöhnliches Experiment verteilten Andrey Sokolov und seine Kollegen vom Argonne National Laboratory in Lemont hunderte Kügelchen aus Polystyrol und mit einem Durchmesser von 4,8 Mikrometern in einer organischen Hexadecan-Lösung. Diese Suspension umschlossen sich wie in einem Butterbrot mit zwei durchsichtigen Plättchen aus elektrisch leitfähigem Indiumzinnoxid. Danach legten sie eine Spannung von wenigen Volt an die beiden als Elektroden wirkenden Plättchen. Die Folge: Die dielektrischen Plastikkügelchen luden sich elektrostatisch auf. Danach rotierten und rollten sie durch die Flüssigkeit mit einer Geschwindigkeit von knapp einem Millimeter pro Sekunde. Der Grund dafür liegt in der Ladungsverteilung an der Oberfläche der Teilchen, die dem äußeren Feld entgegengesetzt ist.

Dieser Effekt der sogenannten Quincke-Rotation – benannt nach dem deutschen Physiker Georg Quincke, der das Phänomen 1896 entdeckt hatte – war bereits bekannt. Doch Sokolov und Kollegen gingen nun einen Schritt weiter. Sie unterbrachen die angelegte Spannung in regelmäßigen Abständen von einigen Dutzend Mikrosekunden. Unter der Wirkung dieser kurzen Spannungspulse zeigten die Plastikkügelchen ein eigenartiges dynamischen Verhalten. Sie ordneten sich immer wieder um und bildeten dabei symmetrische Muster wie beispeilsweise Wirbel, Kreise oder sternähnliche Strukturen. Die Form der Muster ließ sich durch die Länge der Spannungspulse und der Pulspausen gezielt variieren.

Die Ursache für diese kollektive Dynamik lag an der gegenseitigen Abstoßung der elektrostatisch aufgeladenen Kügelchen. Immer wieder versuchten die Kügelchen, schnell einen möglichst großen Abstand zwischen sich zu bringen. Diese Dynamik konnte parallel auch mit Computersimulationen berechnet werden. „Die künstlichen Muster der Partikel können über die dauer der Spannungspulse kontrolliert werden“, sagt Sokolov. Prinzipiell könnten solche aktiven Materiesysteme nicht nur mit elektrischen Spannungen, sondern auch mit Lichtpulsen und magnetischen Feldern angeregt werden. Konkrete Anwendungen für diesen Effekt schlagen die Physiker noch nicht vor. Doch eine gezielte Kontrolle von Mikrometer kleinen Teilchen könnten vielleicht bei chemischen Reaktionsprozessen in Zukunft genutzt werden.

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