Simulation: Radioaktivität macht Quarzglas flüssig
„Die atomare Struktur des bestrahlten Materials gleicht eher einer Flüssigkeit als einem Glas“, sagt Mathieu Bauchy von der UCLA-Arbeitsgruppe für amorphe und anorganische Festkörper. Gemeinsam mit seinen Kollegen bestimmte er die Struktur von amorphen Siliziumdioxid mit molekulardynamischen Simulationen. Die Basis für ihre Berechnungen legte eine Superzelle aus insgesamt 8100 Atomen – 5400 Sauerstoff- und 2700 Siliziumatome. Mit diesen Simulationen ermittelten sie die Wahrscheinlichkeiten für die Positionen der Sauerstoff- und Siliziumatome. Aus diesen Daten konnte sie auf markante Strukturen und Defekte in der ungeordneten Silikatstruktur zurückschließen.
Für die Materialänderungen durch radioaktive Strahlung gingen sie von einem Beschuss mit schnellen Neutronen aus. Diese Neutronen stießen wie BIlliardkugeln auf die Atome im Silikatverbund und führten über eine Kettenreaktion zu einer Änderung der Silikatstruktur. Zum Vergleich starteten sie eine zweite Simulation für schockartige erstarrtes Silikatglas mit einer mehr als 4000 Grad heißen Schmelze, die sehr schnell bis auf Raumtemperatur abgekühlt wurde.
Beide Simulationen zeigten über die gesamte Superzelle auf den ersten Blick einen sehr ähnlichen Aufbau. Auch für die Dichte des Materials ergaben sich fast identische Werte. Markante Unterschiede zwischen der erstarrten Schmelze und dem Silikat nach Neutronenbeschuss offenbarten sich jedoch bei der Nahordnung der Atome bei Abständen von etwa einem zehntel Nanometer. Das virtuell mit Neutronen beschossene Silikat wies auf dieser Größenskala signifikant mehr Defekte beispielsweise in Form von Ringstrukturen mit sechs bis zehn Atomen auf.
Dieses Simulation zeigt, dass trotz detaillierter Strukturanalysen von Silikatgläsern ein schädigender Einfluss eines Neutronenbeschuss auf die innere Struktur bisher unterschätzt wurde. Allein die markanten Unterscheide der beiden simulierten Silikatstrukturen lege laut Bauchy nahe, dass sich diese Gläser doch wesentlich durch radioaktive Strahlung verändern könnten. Das bisher magere Verständnis über den Einfluss von schnellen Neutronen auf die Struktur von Silikaten beurteilen die Forscher als ein ernst zu nehmendes Risiko für den als sicher geltenden Einschluss radioaktiver Substanzen in Glaskokillen.
Nun wollen die Forscher ihre Simulationen auch auf Zement-Materialien ausweiten, die in Kernkraftwerken genutzt werden. Ihr Ziel ist es, neue Modelle für die Langzeitstabilität der Materialien unter radioaktiver Strahlung aufzustellen. Parallel wären auch konkrete Strukturanalysen an Materialproben nötig, um die Ergebnisse der Simulationen experimentell zu überprüfen.