Sexualität schützt vor dem Aussterben

Sexuelle Selektion verhindert die Anhäufung schädlicher Gene im Erbgut, meist indem die Weibchen ihren Geschlechtspartner unter konkurrierenden Männchen auswählen
Die Existenz von zwei Geschlechtern ermöglicht eine sexuelle Selektion, die eine Population vor schlechten Genen schützt.
Die Existenz von zwei Geschlechtern ermöglicht eine sexuelle Selektion, die eine Population vor schlechten Genen schützt.
© University of East Anglia
Norwich (Großbritannien) - Die meisten Arten vielzelliger Lebewesen existieren in einer männlichen und einer weiblichen Form und vermehren sich auf sexuellem Weg. Dabei wäre die Vermehrungsrate viel größer, wenn es nur Weibchen gäbe, die sich ungeschlechtlich fortpflanzen. Britische Biologen haben jetzt durch ein Experiment mit Reismehlkäfern eine Theorie bestätigt, die erklärt, worauf die Existenzberechtigung der Männchen beruht: Männchen ermöglichen eine sexuelle Selektion. Das bedeutet, dass in der Regel die Weibchen – seltener die Männchen – ihren Geschlechtspartner unter mehreren Konkurrenten auswählen können. Dabei werden diejenigen mit gesundem Erbgut bevorzugt und Träger schädlicher Mutationen von der Fortpflanzung ausgeschlossen. Davon profitiert die Qualität des Erbguts und damit die Überlebenschance der gesamten Population, berichten die Forscher im Fachjournal „Nature“.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die sexuelle Selektion für Gesundheit und Fortbestand einer Population wichtig ist. Denn sie hilft, negative Veränderungen im Erbgut zu beseitigen und positive zu erhalten“, sagt Matthew Gage von der University of East Anglia in Norwich. Nach der Evolutionstheorie entstehen und verändern sich Arten durch natürliche Selektion – so genannt, um sie von der künstlichen Selektion bei der Tier- und Pflanzenzucht abzugrenzen. Sie bewirkt, dass die am besten an die Umwelt angepassten Individuen die meisten Nachkommen haben. Doch schon Darwin hatte erkannt, dass es daneben eine zweite Form der Selektion geben muss. Diese führt dazu, dass sich Aussehen und Verhalten der Geschlechter einer Art oft stark unterscheiden. So sind beispielsweise ein auffällig gefärbtes Gefieder oder ein kunstvoller Gesang männlicher Vögel das Ergebnis sexueller Selektion: Die Weibchen erkennen an solchen Merkmalen die Qualität eines möglichen Brutpartners und sorgen durch entsprechende Partnerwahl für optimale Gene ihres Nachwuchses. Dieser Mechanismus der genetischen Optimierung innerhalb einer Population ist nur möglich, wenn es zwei Geschlechter gibt.

Die sexuelle Selektion wirke wie ein Filter, der verhindert, dass sich schädliche Mutationen ausbreiten und die Existenz einer Population bedrohen, schließt Gage aus den Ergebnissen seines Forscherteams. Die Biologen beobachteten die Langzeitentwicklung zweier Populationen von Rotbraunen Reismehlkäfern (Tribolium castaneum) unter kontrollierten Laborbedingungen. In der einen Gruppe erfolgte die Fortpflanzung unter starker sexueller Selektion: Vor jeder Paarung mussten jeweils 90 Männchen um 10 Weibchen konkurrieren. In der zweiten Population waren die Käfer gezwungen, stets paarweise zusammenzuleben, so dass eine sexuelle Selektion ganz fehlte.

Nach sechs bis sieben Jahren und etwa 50 Generationen prüften die Biologen, ob Unterschiede in der Qualität des Erbguts nachweisbar waren. Dazu diente erzwungene Inzucht als indirekte Testmethode: In beiden Populationen waren Paarungen nur noch zwischen Geschwistern erlaubt. Je mehr schädliche Mutationen zu Beginn dieser Phase im Erbgut vorlägen, desto stärker würden sich diese in den Nachkommen nachteilig bemerkbar machen. Nach acht bis zehn Inzuchtgenerationen war die Population, in der sich die Tiere zuvor ohne sexuelle Selektion vermehrt hatten, ausgestorben. Die andere existierte auch nach 20 Inzuchtgenerationen noch. Das zeigt, dass der Einfluss der sexuellen Selektion für ein gesünderes Erbgut sorgt und die Überlebenschancen einer Population verbessert.

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